■ Hunderttausende gehen gegen Rechts auf die Straße
: Olympiade des guten Willens

Was soll man tun? Sie fragen sich das auch. Stimmt's? Ich war nicht auf der Demonstration „Gegen Ausländerhaß und für Toleranz“. So hieß das Motto. Ich habe zu Hause meinen Schnupfen gepflegt und mich gefragt: Was ist eigentlich los? Weshalb gehen so viele Deutsche auf die Straße? In Berlin. Dann in Köln. Neulich in München. Und gestern in Hamburg. Sie zünden Kerzen an. Kriegen kalte Füße und rote Nasen. Kommen miteinander ins Gespräch. Trinken Glühwein und essen heiße Würstchen. Meinen, daß nun aber das Ausland und vor allem Israel nicht mehr meckern könnten. Fühlen sich gut. Und gehen wieder nach Hause. Deutschland zeigt der Welt, daß Demonstrationen nicht nur mächtiges Ausdrucksmittel politischer Forderungen sein müssen. Sie können auch zu Herzen gehen. Sie können auch gemütliche Großveranstaltungen sein.

100.000 gute Deutsche. 250.000 gute Deutsche. 300.000, nein, 400.000 gute Deutsche. Dabei sein ist alles! Der Sonderbambi aus dem Verlagshaus Burda für die Organisatoren der Münchener Lichterkette „Eine Stadt sagt Nein!“. Deutsche feiern gute Deutsche. So haben Politiker ihr Volk gerne. Keine Demonstrationen gegen die neuen Asyl-Vereinbarungen! Keine Demo für die in Deutschland geborenen Menschen ausländischer Abstammung. Man möge ihnen alle bürgerlichen Rechte geben! Statt dessen Lichterketten ausländerfreundlicher Deutscher. Helmut Kohl, hätte er nicht etwas gegen den Betroffenheitstourismus, könnte sich in jede Lichterkette einreihen. Er muß es nicht. Er vereinnahmt auch so jede dieser Aktionen als PR-Arbeit. Das Ausland mag sagen, was es will. Diesmal kann niemand den Deutschen vorwerfen, sie hätten nicht gezeigt, daß sie dagegen sind.

Nach Mölln, nach dem Entsetzen wie dem Schrecken über die drei Morde, ist jetzt eine Olympiade des guten Willens unter den Deutschen ausgebrochen. Die wachsende Brutalität und Dreistigkeit auf der Seite der Rechtsradikalen macht es einfach, dagegen zu sein. Gemessen an diesem Haß ist die Mehrheit der Deutschen tolerant. Nazis, Skins, Hooligans, Rechtsextremisten – sie werden dämonisiert und ausgesondert. Von den Deutschen. Als seien sie keine Deutschen. Als seien sie Fremde. Ausländer. Dabei sind es Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland. Sehr oft sind es Schüler und Schülerinnen deutscher Schulen. Menschen werden schikaniert. Ausländer und Juden und Homosexuelle. Weil sie anders sind. Wo immer das passiert, wir haben noch nicht einmal davon gehört, daß Passanten auf der Straße, Fahrgäste auf Bahnhöfen oder im Zug, Menschen, die dabeistanden und empört waren, die rechten Randalierer mehrheitlich in die Flucht geschlagen hätten. Es wäre schon oft möglich gewesen. Statt dessen hören wir, daß die Polizei zu spät kommt, daß die Passanten sich abwenden und weitergehen.

„Der Skin von Mölln“. So heißen Titelgeschichten deutscher Illustrierter. Sie lesen sich wie deutsche Seifenopern: viel Gewalt und Rührseligkeit. Es scheint alles eine große Inszenierung zu sein. Wie es wohl ausgehen wird? Viola Roggenkamp

Freie Journalistin, lebt in Hamburg.