■ Deutschsein heißt in Krise und Not – rechts sein
: Mit Nazis reden?

Läßt sich mit jungen Nazis reden? Schon die Frage führt zum Streit darüber, ob diese Jungen Nazis sind oder nur Verführte, also Opfer. Tatsächlich wäre ein Großteil der Jugend in den neuen Ländern bei Fortbestand der DDR nicht offen nazistisch geworden. Die mißlungene Vereinigung erst brachte Arbeitslosigkeit, Verunsicherung, Perspektivlosigkeit, Asozialität, politischen Rechtsschwenk mit sich. Weil dort links absolut passé ist, ist rechts absolut Mode. Von rechts zu rechtsextrem ist es aber nur ein Schritt. Ein paar Biere zuviel, ein vom Westen zugereister Führer genügen, und der Molotowcocktail ist fertig.

Anders die Lage im Westen. Der Erfolg der neuen Rechtsparteien war sowieso im Gange. Der Extremismus wurde vom Staat, den Bonner Parteien und der Öffentlichkeit fahrlässig oder bewußt unterschätzt. Insgesamt gesehen ist der West-Nazismus willentlicher und insofern schuldhafter als der Ost-Nazismus, der aus der Niederlage, der neuen sozialen Deklassierung und Kolonisierung folgt, denn der besiegte und deklassierte Deutsche antwortet darauf mit Resignation, die Jugend aber mit Wut und Haß.

Deutschsein heißt in Krise und Not rechts sein. Der spezifische Ausdruck des östlichen Jugendprotestes ist unter reduzierten Lebensumständen der ungezügelte nazistische Rückfall. Was können Gespräche daran ändern? Wollen wir etwas gutmachen, einfach weil wir es schlecht machten und weil es sich unserer Meinung nach gehört, die Jungen durch Ablehnung oder Feindschaft nicht noch weiter in den Extremismus zu treiben?

Unsere gute pädagogische Absicht ist Teil demokratischer Kultur. Wir kennen unsere immense Sprachlosigkeit, die zu überwinden wir Psychologen, Priester, Gesprächskreise und Unmengen von Talk-Shows aufbieten, welch unendliches Gerede die Sprachlosigkeit noch vermehrt. Es gibt eine Grenze. Ist sie erreicht, hilft Reden nicht weiter. Das Gespräch setzt die Bereitschaft dazu voraus. Und die Fähigkeit. Wo die Feindschaft zur Glaubenssache geworden ist, verlieren Argumente ihren Sinn. Nicht Logik und Fakten zählen, sondern der Glaube, die Wut und die Tat. Mit glaubenswütigen Fundamentalisten reden zu wollen ist vergebliche Liebesmühe.

Ich sage dies nicht gern. Es widerspricht unserer Achtung vor dem gesprochenen und geschriebenen Wort. Wir müssen jedoch umlernen. Soweit es ideologisch verfestigte Faschos betrifft, blicken wir auf fast acht Jahrzehnte Erfahrung zurück. Ihr gläubiger Nazismus ist verbal nicht korrigierbar. Oberst Rudel war bis zu seinem Tode Nazi, der pensionierte General Remer, der als Major den Offiziersaufstand vom 20. Juli 1944 niederschlug, wird bis zu seinem letzten Atemzug Nazi bleiben.

Unsere jungen Nazis teilen sich in zwei Gruppen. Die Intellektuellen verbreiten wie ihre Vorgänger ihre Glaubenssätze, an denen Argumente abprallen. Die Masse aber ist derart unintellektuell, wo nicht analphabetisch, daß sie weder Argumente besitzt noch von Gegenargumenten angefochten werden kann. Hier herrscht ein Trieb der aufsässigen Zerstörung.

Selbstverständlich versuchen es Pädagogen, Pastoren, Sozialhelfer immer wieder mit gutem Zureden. Am Ende steht das entmutigende Resultat der Erfolglosigkeit. Einmal Rostock oder Mölln und die Nachricht davon vervielfältigt in den Medien, und zum Wochenende brechen ungezählte Gruppen junger, alkoholisierter, barbarisierter Jugendlicher auf zu Brand- und Mordtaten. Den Medien die Schuld daran zu geben ist so falsch, als wolle man dem Donner die Schuld am Blitz zuschreiben.

Sollte man also mit Nazis reden? Soll man wenigstens mit jungen Nazis sprechen? Wer es unternimmt, wird bald begreifen: Wo der Nazismus zur Tat schreitet, hilft nur die staatliche Repression. Versagt sie, wird Widerstand Bürgerpflicht. Diese uns unliebe Erfahrung ist so neu nicht. Das Dritte Reich konnte auch nicht durch Vernunft, Logik und Sprache besiegt werden. Es bedurfte dazu der alliierten Armeen. Der tiefere Grund liegt in der quasireligiösen nazistischen Mordbereitschaft, im Fanatismus der Anhänger, die sich jeder Aufklärung entziehen, den Kompromiß ablehnen und jedes Anzeichen von Milde, Toleranz, Entgegenkommen als Signal der Schwäche auslegen.

Ich selbst bin Gesprächen nie ausgewichen und vor zwei Jahren mit Schönhuber und kürzlich mit Jungnazis in den Talk-Show-Ring gestiegen. Mit dem Rep-Franz läßt sich noch streiten, wenn einer kein Gottschalk ist. Die Jungnazis bleiben von vornherein unartikuliert. Schon die Sprachbrücke zu betreten verweigern sie. Das ist verheerend. Noch schlimmer ist eine deutsche Tradition, die Augstein einmal „konstitutionellen Nazismus“ nannte. Ich schrieb dagegen ein dickes Buch mit dem Tucholsky-Satz Soldaten sind Mörder als Titel. Das Buch brachte es auf 25 Ermittlungsverfahren und zwei Hauptverhandlungen. Vier Jahre nach Erscheinen findet sich noch immer kein Taschenbuchverlag, der sich an eine verbilligte Ausgabe wagte. So erzwingt die staatliche Einschüchterung an der Kulturfront vorbeugenden Gehorsam. Wer Ursachen des Nazismus aufdeckt, ist selber schuld.

Der Sprachlosigkeit unserer Jungnazis ging und geht die ihrer erwachsenen Vorbilder voraus, deren Anteil an der Macht so groß ist, daß sie selbst die Erörterung ihrer Schädlichkeit und Schändlichkeit verhindern können – mitten in der Demokratie und als Teil von ihr.

Meine Erfahrung von der Nutzlosigkeit des Gesprächs mit alten und jungen Nazis heißt nicht, daß politische Aufklärung überhaupt nutzlos bleiben müsse. Es gibt die graue Masse derer, die noch nicht am extremen Rand angekommen sind. Diese Stimmungslage finden wir vor allem bei den Jugendlichen in den neuen Ländern. Spricht man mit ihnen, fällt neben der politischen Unwissenheit die starke nationalistische Gefühlsbindung auf. Ihre Enttäuschung äußert sich als Mißtrauen gegenüber allem und jedem. Einbezogen Eltern und Lehrer. Hinzu kommt die Analphabetisierung. Große Teile dieser Generationen greifen nicht mehr zum Buch. Der Leseunlust entspricht eine Lernschwäche, die teils Unwille ist, teils Resultat einer neuen, pränazistischen Trotzhaltung. Damit sinken die Aussichten, durch Gespräche aufklärend auf die Szene einwirken zu können. Es bedürfte dazu einer revolutionierenden Infrastruktur mit Jugendtreffs, Bildungswerken, arbeitsfördernden Maßnahmen. Alles dies wird eher noch abgebaut statt gefördert.

Fazit: Die Jugendbewegung hin zum rechten Extremismus ist in dieser umsichgreifenden Kulturwüste nicht aufzuhalten. Das Schlimmste steht erst noch bevor. Doch unser Staat wird die Rabauken schon noch einfangen und zu tüchtigen Soldaten machen. Denn was im Zivilleben Mord ist, kann in Uniform Pflicht sein. Gerhard Zwerenz