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Wenn ein Symbol leuchtet ...

■ Michael Jürgs hat die Hamburger Lichterkette initiiert

taz: Sind Sie vor oder nach München auf die Idee zu der Hamburger Aktion gekommen?

Michael Jürgs: Nach München. Ich fand das in München ganz toll, bin aber nicht sofort auf das Naheliegende gekommen, so etwas selbst zu versuchen. Am Dienstag vergangener Woche hab' ich dann zum Hörer gegriffen.

Dann gingen die Vorbereitungen ja unglaublich schnell. An wen haben Sie sich zuerst gewandt?

An Zeitungen und Privatradios, und innerhalb von einer Stunde kam die Antwort: Ja, wir machen mit. Der Bürgermeister der Stadt Hamburg hat es dann einen Tag später aus der Zeitung erfahren. Wir wollten ja zeigen, daß es auch ohne Politiker geht. Die haben uns zuviel geschwätzt, ohne irgend etwas zu tun.

Die Hamburger Behörden müssen dann aber auch eine schnellere Gangart eingelegt haben?

Es gab null Probleme. Die Polizei hat mir das Papier, das ich als Veranstalter unterschreiben mußte, gefaxt, ich hab's zurückgeschickt, und die Sache war erledigt. Auch mit dem Verkehrsverbund war alles nach einem Telefongespräch geregelt.

Warum, glauben Sie, sind so viele Menschen gekommen?

Ich denke, daß die Leute nur einen Anstoß brauchten. Das Gefühl, daß es so nicht weitergehen kann, war stark verbreitet. Meine These ist, daß durch die rassistischen Vorfälle die Westdeutschen wieder eine Identität entdeckt haben, die durch die Wiedervereinigung verlorengegangen ist. Wir hatten schon immer eine politische Kultur, die sich gewehrt hat.

Eine Negatividentität als Abgrenzung gegen Rechtsradikale?

Es ist ein Nein zum Faschismus. Die Demonstrationen zeigen, daß wir zwar nicht das Volk sind – wie es in Leipzig vor drei Jahren so schön geheißen hat –, aber ganz, ganz viele Demokraten.

Hat denn, wer demonstrieren geht, auch mehr Zivilcourage?

Das ist die entscheidende Frage. Aber auch die früheren Studentendemonstrationen haben anderen erst Mut gemacht. Durch diesen Anstoß hat sich in allen Bereichen der Gesellschaft etwas geändert. Wenn jetzt gegen Rassismus nicht täglich etwas geschieht, dann wär es natürlich sinnlos.

Eine Lichterkette ist was fürs Gemüt, hat auch religiöse Konnotationen ...

... ist ja auch ein Stückchen Advent ...

... glauben Sie, daß diese Aktionsform die Menschen besonders angesprochen hat?

Die Lichter haben ohne Zweifel eine tiefe emotionale Wirkung. Es ist ein Symbol, und wenn ein Symbol auch noch leuchtet, ist es besonders gut. Es darf natürlich nicht bei den zwei Stunden schön zusammen stehen, Kerzen leuchten, alles wunderbar bleiben. Ich bin aber überzeugt davon, daß rassistische Äußerungen, bei den Menschen, die in der letzten Zeit auf die Straße gegangen sind, nicht mehr so viel Chancen haben. Es sind natürlich nur kleine Schritte. Aber dieses weg vom Fernseher, weg aus'm Sofa, weg aus der Wohnung, raus auf die Straße – das ist doch schon etwas. Interview: bam

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