: Tristesse am Tag nach dem Lichtermeer
■ Eine Umfrage in Hamburg
Hat die Lichterkette etwas bewegt? Verhalten sich die Normalbürger mutiger als vorher? Umfrage in der Ottenser Hauptstraße, eine Fußgängerzone im Hamburger Stadtteil Altona. „Nein, meine Haltung hat die Lichterkette nicht geändert. Ich hätte mich vorher auch schon eingemischt, wenn einer angepöbelt wird“, sagt beispielsweise der gelernte Schiffbauer Christian Berg. Der 34jährige fährt jeden Tag mit der S-Bahn-Linie S3 nach Harburg, einem Stadtteil, in dem viele Skins leben.
Bisher habe er es noch nicht erlebt, daß ein ausländischer Mitbürger angepöbelt wurde. Auch er trägt den weiß-roten „Stopp den Haß“-Button, der als eine Art Erkennungszeichen für Antirassisten seine Dienste tut.
Für die Medizinstudentin Gönke Pörksen hat die Lichterkette schon etwas verändert: „Ich habe mir oft Gedanken gemacht, ob ich wirklich die Courage habe, einzugreifen.“ Seit Sonntag sei sie ein kleines bißchen beruhigt, daß es doch sehr viele Menschen gibt, die gegen Rassismus sind. „Ich kann mir vorstellen, daß ich selbstverständlicher Leute in der U-Bahn anspreche, wenn jemand Hilfe braucht.“ Auch besagte Plakette sei da sehr hilfreich.
Für die meisten befragten Frauen ist es eher eine organisatorische Frage, ob sie eingreifen oder nicht. „Körperlich könnte ich ja gar nichts ausrichten. Aber ich könnte Hilfe holen, die Polizei rufen“, sagt Archeologiestudentin Uta Kirchhübel. Trotzdem habe sie sich bisher eingemischt und will es auch künftig tun: „Es sind ja oft schon die kleinen Gesten wichtig, mit denen man zeigt, auf wessen Seite man steht.“ Die Aktion an der Alster hat die 26jährige mehr als hektisches Massengedrängel erlebt. Kein Zeichen für Entwarnung: „Es ist nach wie vor erhöhte Wachsamkeit angesagt.“
Das sieht Uschi W. ein wenig anders. Für die 42jährige Lehrerin war die Massendemonstration ein Zeichen dafür, daß die Nazis heute nicht wieder „so einfach an die Macht kommen können“. Es sei beruhigend, „daß so viele Menschen gesagt haben, das wollen wir nicht“. Allerdings fühlt sich die Lehrerin nach wie vor persönlich bedroht. Sie hat von einigen Bekannten gehört, deren Autos und Briefkästen demoliert wurden, weil sie Anti-Rassismus-Aufkleber hatten.
Fast alle befragten Lichterkettenteilnehmer sagen, sie hätten sich schon früher engagiert und eingemischt. Sorgen bereitet mehr die Frage, ob es denn nun wirklich die Mehrheit ist, die sich da äußerte, oder nicht vielmehr eine große „Gefühlsduselei“ war, bei der die ganz große Mehrheit schweigt, wie es eine Sozialpädagogin ausdrückt: „Die Leute, die einen Ausländerhaß haben, gehen da doch nicht hin.“ Ihr Mann hat in seinem Betrieb nachgezählt. Von seinen 15 Kollegen war außer ihm nur noch sein Chef zur Lichterkette gegangen. Die übrigen, die „etwas gegen Ausländer haben, sind alle zu Hause geblieben“. Kaija Kutter
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