Symbolik etc.
: Der Antifaschismus mit der Kerze

■ Protest als Pop: Even 2.000.000 Christenmenschen can be wrong

Tausende, Hunderttausende waren dabei, aber die meisten haben's mal wieder nur im Fernsehen gesehen: Kerzen, Lichter, massenweise und – telegen, ohne Zweifel. Ein Schelm, wer da noch Böses denkt. Hat es nicht schön gebrannt? Hat es dem späten Switcher nicht aufs wärmste heimgeleuchtet? Ist das am Ende „Utopie“?

Zumindest war es „ästhetisch“. Doch daß die Lichterketten von München und Hamburg sich im Fernsehen so gut machten, liegt nicht zuletzt daran, daß sie im Grunde auch fürs Fernsehen gemeint waren. Erst in der Luftaufnahme, der Totalen von oben, wird klar, was der tiefe gemeinsame Wunsch hinter dem scheinbar so individuell leuchtenden Come Together war. Vor einem imaginären Auge, das alles sieht, sollte der Beweis erbracht werden, daß hier unten auch reine Seelen brennen: Gott ist nicht tot, und noch ist Deutschland nicht verloren.

So verständlich und correct dieser Wunsch zunächst auch scheinen mag, so zeigt er bei näherem Hinsehen doch zweierlei: Zum einen wird nur allzu deutlich, daß es – dem egalitären Charakter des Spektakels zum Trotz – auch eine Sehnsucht nach Autorität ist, die hier ausagiert wurde; man glaubt, ein verzerrtes, ein ungerechtes Bild abgegeben zu haben vor der Welt und will sich nun vor einer überindividuellen Instanz ins richtige Licht rücken – eine profane Form der Absolution. Zum anderen, was gewichtiger ist: Die kollektive Manifestation von Ausländerfreundlichkeit gilt gar nicht so sehr dem vorgeblichen Objekt und Gegenstand der Werbung – den Ausländern, die in Deutschland leben; vielmehr handelt es sich um eine Demonstration im Wortsinn: In einer Variante des Zeigens feiert ein Kollektiv sich selbst. Die Botschaft dieses Massen-Menetekels soll lauten: Wir sind das (bessere) Volk.

Sicher ist es kein Zufall, daß im Zentrum solcher Psycho-Logik die Feuer-Symbolik steht. Das Feuer, das hierzulande real Menschenleben ausgelöscht hat, kehrt in einer symbolischen, sakralen Form zurück: als Gegenzauber, der das Böse auf handhabbare Formen zusammenbannt. Nazis, Fremdenhasser? I wo, wir doch nicht. Die Assoziation zum christlichen Purgatorium liegt mehr als nahe, aber es ist eine Billigversion. Licht an, Fackeln raus, Gesinnung rein – quod erat demonstrandum. So schnell geht das. Und kostet nur ein kleines Kerzlein. Der Soundtrack dazu wird gar gänzlich kostenfrei geliefert: von Pfefferminzprinzen, blauen Engeln, konvertierten Hardrockern, kölschen Dialektpoeten und anderen Menschen guten Willens.

Unter dem Handlungsdruck, den der mörderische Rechtspopulismus ausgelöst hat, ist der Antifaschismus mit der Kerze offenbar der kleinste gemeinsame Nenner geworden, auf dem man sich noch guten Gewissens zu treffen traut. Auch kein Zufall ist es sicherlich, daß die Aktionen von München und Hamburg von sogenannten Medienmenschen initiiert wurden (vom Frankfurter Protest der telegen abrockenden Pop-Profis ganz zu schweigen): Sie allein haben das richtige Gespür für die symbolische Ebene, auf der populäre Konflikte heutzutage verhandelt werden. Sie sind eine stille Form der Exekutive. Denn sie erst lenken den Massenwillen in die Bahnen, über die er sich selbst nicht so recht klarwerden will. In einer Situation, in der Politik sich in Public Relations aufgelöst hat, holen die Medienmenschen, die „Macher“, die Defizite nach, die die offiziellen Volksvertreter auf dem Feld der Ersatzhandlungen hinterlassen haben. Sie schließen mit ihrer Form der Macht symbolische Lücken; und der Jubel ist dann um so größer, je mächtiger der überdimensionale Spiegel sich über den Köpfen wölbt. Wie klein das Lichtlein der Aufklärung dabei geworden ist.

Aber, Hand aufs Herz: Ist das nicht der unhintergehbare Zustand in einem Zeitalter, das bis vor kurzem noch als Zeitalter der „Simulation“ bezeichnet wurde? Und überhaupt: Kann man das nicht einfach mal hinnehmen, dieses bißchen Kirchengemeinde, dieses bißchen später Böll?

Das schon. Popkultur hat immer ihr momentgebundenes Recht, und wenn der Lichterzauber schüchternen Protestlern zum Coming-out verholfen hat, ist das mehr als nichts. Bloß: Ein Kerzlein macht noch keineN AntifaschistIn, und eine Ästhetisierung des guten Willens noch lange keine Ästhetik des Widerstands. Even 2.000.000 Christenmenschen can be wrong! Die Selbstinszenierung der schönen Deutschen als gute Masse wird auf die Dauer nicht von gewissen Analysen entbinden. Schon gar nicht wird er die Frage erübrigen, wo hinter dem schönen Schein viel weniger schöne Wirklichkeiten vergraben sind. Einen Gott der Geschichte gibt es zwar nicht mehr, aber vielleicht noch einen Engel. Und der steht, wie man weiß, mit dem Rücken zum Paradies.

Thomas Groß