500 Friedensaktivisten kamen nach Sarajevo

■ Die Ethnologin Christine Schweitzer (33) nahm an der internationalen Aktion teil

taz: 500 Friedensaktivisten sind am letzten Wochenende auf Initiative der italienischen katholischen Organisation Beate i costruttori di pace nach Sarajevo gefahren. Es ist sogar gelungen, vom bosnischen Territorium, genauer von der Stadt Kiseljak aus, durch die serbischen Linien nach Sarajevo zu gelangen. Was haben Sie sich eigentlich bei dieser Aktion gedacht?

Christine Schweitzer: Wir wollten ein Zeichen setzen für die Einhaltung der Menschenrechte, für eine friedliche Lösung, also gegen eine militärische Intervention, und ein Zeichen setzen für menschliche Solidarität.

Haben denn die Kriegsparteien die Gruppe so einfach passieren lassen?

In der Vorbereitung haben wir versucht, mit allen Seiten zu sprechen. Die serbische Seite war sehr kooperativ, so daß wir über den Stadtteil Ilidža einreisen konnten. Während dieser Zeit wurde dort auch nicht geschossen. Am Nachmittag, bei unserem Besuch in der Stadt, wurde auch der Artilleriebeschuß reduziert. Unsere Anwesenheit wurde respektiert, und wir wurden nicht als Ziel auserkoren.

Wie interpretieren Sie das?

Es war wohl verdeutlicht worden, daß wir neutral sind. Eine Gruppe von uns ist auch in Ilidža geblieben, also im serbischen Teil, und hat dort das gleiche vertreten, was wir vertreten haben. Es ist wohl das erste Mal, daß sich eine Gruppe von Leuten angehört hat, was die serbische Seite zu sagen hat...

Tatsächlich? Und was haben die Serben gesagt?

Die Bevölkerung im serbischen Teil hat genausoviel Angst wie in den anderen Teilen Sarajevos auch.

Wie stellen Sie sich eine politische Lösung vor? Es gibt ja Angreifer, und die Leute, die im Kessel sitzen, sind die Verteidiger. Werden jetzt die Tschetniks die Waffen niederlegen, weil Sie da waren?

Wir haben keine realpolitischen Forderungen formuliert. Die einzige realpolitische Forderung, die ich mir vorstellen könnte, wäre, das was mit UNO-Protektorat umschrieben wird, durchzusetzen. Die zweite Lösung wäre, die Verteidigung einzustellen.

Wissen Sie, daß dort, wo die Verteidigung nicht möglich war, Zehntausende ermordet und vergewaltigt wurden?

Vieles davon ist passiert, weil keine internationalen Beobachter da waren.

Die hätten erst einmal in die Gebiete reinkommen müssen, wo die Verbrechen stattgefunden haben. Mit Ihrer Aktion wird sicherlich ein Zeichen gegen den Krieg gesetzt. Dennoch ist Ihre Argumentation inkonsistent. Wenn Sie ein UNO-Protektorat fordern, bedeutet das nämlich faktisch die militärische Intervention.

Die UNO spielt bisher eine heikle Rolle. Sie unterstützt die bosnische Regierung darin, niemanden aus der Stadt herauszulassen. Alle sollten aus der Stadt raus, die raus wollen.

Unter humanitären Aspekten ist dies eine verständliche Forderung. Politisch wird damit aber dem Kriegsziel der serbischen Seite Vorschub geleistet, nämlich die Stadt von Nichtserben „frei“ zu machen. Es ist also ein doppeldeutiges Argument.

Die Serben, die noch da sind, fühlen sich als Bosnier. Ich finde Ihr Argument zynisch.

Wirklich? Die Leute sollen also ihre Stadt, ihre Wohnungen, ihre Heimat aufgeben?

Wenn die Leute nicht flüchten, wird die ethnische Säuberung vollständig durchgesetzt werden, dann sterben die Leute.

Sie schlagen ein Zurückweichen vor den Mördern vor. Man könnte sich vorstellen, einen Korridor zu öffnen, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Das wird von der serbischen Seite nicht erlaubt. Ich verstehe Ihr Verständnis für die Kriegstreiber nicht.

Die Politik ist die eine Sache, die andere Sache ist, wie es der Bevölkerung ergeht, die den Krieg nie gewollt hat. Das sollte Vorrang haben vor aller Politik.

Sie sagen also, die nichtserbische Bevölkerung aus Sarajevo soll die Stadt verlassen, dann käme der Frieden.

Nicht so. Ein Drittel der Bevölkerung würde sofort gehen.

Ganz sicher...

Man kann politischen Prinzipien sehr leicht Menschenleben opfern.

Man kann sich aber auch unter angeblichen unpolitischen Vorzeichen vor den Karren einer bestimmten Politik spannen lassen. Serbenführer Karadžić hat der nichtserbischen Bevölkerung den Abzug aus Sarajevo vorgeschlagen. Sein Kriegsziel wäre damit erreicht.

Immerhin hat es unsere Aktion ermöglicht, mit den Einwohnern von Sarajevo zu sprechen, es war ein Zeichen, daß sie nicht allein gelassen werden. Interview: Erich Rathfelder