USA: Die Ökonomie wird telegen

Der Wirtschaftsgipfel des gewählten US-Präsidenten Bill Clinton überzeugte selbst Republikaner durch hohes Niveau/ Aufbruchsstimmung trotz schwieriger Weltwirtschaft  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Auch wenn es kaum eine(r) gemerkt hat: Am Montag wurde der neue Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Da kam jenes Gremium von Wahlfrauen und -männern zusammen, das formal das Regierungsoberhaupt der USA bestimmt. Der Amtsinhaber in spe schenkte diesem Vorgang keine weitere Beachtung. Bill Clinton saß zur gleichen Zeit in der Hauptstadt seines Bundesstaates Arkansas, Little Rock, und moderierte seinen ersten und ganz eigenen ökonomischen Gipfel: Über 320 Chefs von Großkonzernen, Mittelstands- und Kleinunternehmen, Gewerkschafter, Ökonomen und Bankiers hatten Clinton und sein Übergangsteam eingeladen, um zwei Tage lang vor den Fernsehkameras von CNN und C- SPAN über die zukünftige Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Bürger im ganzen Land konnten sich per Telefon in die Debatte einschalten.

Schwierigkeiten bereiteten dem neuen Präsidenten dabei vor allem die neuen Wirtschaftsdaten aus dem Handels- und Arbeitsministerium, die Entspannung signalisieren. Die Arbeitslosenrate ist im November von 7,4 Prozent auf 7,2 Prozent gefallen, der Einzelhandel meldet aufsteigende Tendenz, dem Bruttosozialprodukt wird jetzt wieder eine Wachstumsrate von fast vier Prozent prophezeit. Die Schlagworte wie Krise und Rezession scheinen sich mit der Bush- Regierung zu verabschieden – und genau das stört seinen Nachfolger. Davon abgesehen, daß die kurzfristigen Zahlen nichts an den strukturellen Wirtschaftsproblemen der USA ändern, braucht Clinton ein Mindestmaß an nationaler Krisenstimmung – vor allem, um im Kongreß sein Wirtschaftsprogramm für die ersten hundert Amtstage durchsetzen zu können. Folglich wurden Clinton und sein Vizepräsident Al Gore nicht müde, jeglichen Optimismus zu dämpfen.

Gefragt, was er sich als Resultat des Wirtschaftsgipfels erhoffe, sagte Clinton, er wünsche sich einen Konsens über die ökonomischen Prämissen für die nächsten Jahre. Die sind auch nach zwei Tagen intensiver Debatte nicht klargeworden, zumal jeder Teilnehmer wußte, daß im neuen Kabinett Vertreter völlig unterschiedlicher Lösungsansätze sitzen. Da sind zum einen die Kämpfer gegen das Haushaltsdefizit, zum anderen die Verfechter einer staatlichen Interventions- und Investitionspolitik, allen voran der neue Arbeitsminister Robert Reich.

Beim Stichwort Defizit wurde in Little Rock denn auch der Dissens sichtbar. Die einen bestanden auf dem Vorrang staatlicher Investitionen: Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow will analog zum Clintonschen Credo mehr Staatsausgaben für den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Bildung sehen. John Sculley, Chef von Apple Computer Inc., präsentierte sich als Anhänger der „Reich- Schule“, als er die Anwesenden warnte: „Wir haben immer noch ein Ausbildungssystem, das unsere jungen Leute auf Jobs vorbereitet, die gar nicht mehr existieren. Amerika steht vor der Wahl: Wollen wir qualifizierte Arbeitnehmer oder Niedriglöhne?“

Dieses Dilemma ist das zentrale Problem des künftigen Arbeitsministers, der ein Berufsausbildungssystem nach europäischem Vorbild für alle Amerikaner finanzieren will, die nach dem Schulabschluß nicht auf ein College gehen.

Dem setzte Harvard-Professor John White ein paar nüchterne Zahlen entgegen. Ausgestattet mit neuen Zahlen des „Congressional Budget Office“ demonstrierte er, daß das Haushaltsdefizit nicht, wie angenommen, Mitte der neunziger Jahre zurückgehen, sondern um bis zu 150 Milliarden Dollar pro Jahr steigen wird. Clinton, ansonsten mit versierten Kommentaren nicht sparsam, hatte dem wenig hinzuzufügen.

Hier werde um die wirklich harten Entscheidungen der neuen Administration herumgeredet, bemängelte denn auch Marion Sandler, Bankdirektorin aus Kalifornien. Die notwendigen Schritte seien „politisch nicht sehr attraktiv“, aber unumgänglich: Halbierung des Militärhaushalts und einschneidende Kürzungen bei Krankenversicherung, Sozialversicherung und Sozialhilfe.

Angesichts dieser nationalen Perspektiven nahm Clinton die äußerst pessimistischen Referate über die Situation der Weltwirtschaft und die Lage in der ehemaligen Sowjetunion mit sorgenvoller Miene zur Kenntnis, hütete sich aber, Hilfsprogramme irgendwelcher Art zu erwähnen.

Die düsteren Aussichten änderten allerings nichts an der Aufbruchsstimmung des Gipfels, der auffallend nicht von weißen Männern dominiert wurde. Die Organisatoren hatten fast zur Hälfte Frauen sowie Angehörige ethnischer Minderheiten eingeladen, was den Chef von Coca-Cola zu dem Resümee veranlaßte, er habe schon lange nicht mehr so viel spanisch gesprochen. Auch ein republikanischer Teilnehmer lobte das Niveau des Gipfels. „Ich begreife immer weniger, warum wir das nie gemacht haben.“