Im Bermudadreieck der Konspiration

Im Prozeß um die Entlassung des Rektors der Berliner Humboldt-Uni, Heinrich Fink, fällt heute ein Urteil/ War Fink ein „irregulärer“ Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi?  ■ Aus Berlin Christian Füller

Eine ungeschickte Frage, und man verschwindet beim Fink-Prozeß im Bermudadreieck von Konspiration, Abschöpfung und schlichter Denunziation. So ging es etwa Thomas Kunze, dem Anwalt des Berliner Wissenschaftssenates. Kunze fragte ausgerechnet Klaus Roßberg, einen Leiter der Stasi- Kirchenabteilung XX/4, woher er gewußt habe, daß ein bestimmter Offizier im besonderen Einsatz (OibE) bei der Stasi war. Roßberg antwortete genüßlich: „Herr Anwalt, ich habe den OibE selbst eingeschleust.“ Heute kann sich Thomas Kunze neu orientieren, heute fällt das Urteil im Fink-Prozeß.

Heinrich Fink war bei der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen „Heiner“ registriert. Daran besteht kein Zweifel. Der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) hatte das freudig zum Anlaß genommen, Fink als Professor zu entlassen und ihn als Rektor der Humboldt-Universität abzusetzen. Als solcher war er unbequem geworden, eine Art Symbol der Widerständigkeit für viele DDR-Bürger. Der streitbare Theologe Fink blieb seinem Naturell treu und trotzte: Er habe nicht für die Stasi gearbeitet, schwor er. Er habe nichts davon gewußt, daß die Stasi ihn als IM registriert und ausgehorcht habe.

Das Berliner Arbeitsgericht, vor dem Fink gegen seine Entlassung klagte, gab dem 57jährigen Theologen im April dieses Jahres recht. Das Sensationelle an dem Prozeß war die Argumentation des Arbeitsrichters Bernd Kießling, die weit über den Fall Fink hinausreichte. Prinzipiell seien die Stasi- Akten keine Beweise, sondern lediglich Indizien. Sie müßten durch Zeugenvernehmung in ihrer Aussagekraft geprüft werden. Damit war das Wahrheitsmonopol des Bundesbeauftragten Joachim Gauck und der von seiner Behörde betreuten Stasi-Akten gebrochen.

Also trat zur Berufungsverhandlung im Landesarbeitsgericht Berlin die Stasi selbst in den Zeugenstand. Die elitären Tschekisten erwiesen sich als kleinkarierte Informationsbuchhalter. Den ersten für „Heiner“ zuständigen Führungsoffizier, Wolfram Laux, hätten sie „Bleistift“ genannt, verriet sein Kollege Roßberg. Er habe nur immer mitschreiben dürfen, was seine Vorgesetzten von den Spitzeln erfuhren. Der Prozeß zeigte seine aufklärerische Wirkung für die DDR-Vergangenheit: Es wurde vorgeführt, wie perfide und banal die Stasi arbeitete.

Für Heinrich Fink kamen die Prozeßtage einem peinvollen Triumphzug gleich. Zeuge für Zeuge bestätigte zwar seine These, er sei ohne sein Wissen der IM „Heiner“ gewesen. Gleichzeitig verwundeten sie den 57jährigen Theologen. „Der ist zu weich, zu unsicher“, nannte etwa sein späterer Führungsoffizier Klaus Roßberg den Grund, warum die Stasi Fink nicht direkt angesprochen, sondern „abgeschöpft“ habe.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Heinrich Fink abgeschöpft worden, will sagen: Dritte haben über ihre Gespräche mit dem Theologen an die Stasi berichtet. Heinrich Fink war umstellt von Informanten für das MfS: Seine Privatsekretärin lieferte als IM „Lissy Schreiber“ die Post des Theologen per Durchschlag an die Stasi. Beinahe alle offiziellen Gesprächspartner des Theologie-Professors Fink etwa im Staatssekretariat für Kirchenfragen waren IM oder gar OibE.

Big Brother beobachtete nicht nur, er hörte mit und gab weiter. Und so konnte Heinrich Fink durchaus als IM „Heiner“ Informationen liefern, ohne selbst davon zu wissen. Irregulärer IM, fügte Bernd Preis den bereits bei der Stasi bestehenden eine neue IM-Kategorie hinzu. Die Stasi „verbuchte“ ihre Informationen (Preis) stets unter IM „Heiner“, weil das MfS eine akribische Behörde war. Außerdem edelte eine Quelle, zumal „Heiner“ alias Fink, der eine Vielzahl von Funktionen hatte, den Spitzelbericht. Man habe damit „brilliert“, sagte Joachim Wiegand, Chef der Stasi-Abteilung XX/4.

Solche Geschichten glaubte Anwalt Kunze von Anfang an nicht. „Ich gehe davon aus“, knurrte Kunze einen der Stasi-Offiziere an, „daß die Zeugen hier die Unwahrheit sagen.“ Damit hat sich Kunze keinen Gefallen getan. „Ihre Partei ist beweisbelastet“, gab der Fink-Anwalt Lutz Seyboldt spitz zurück. In der Tat muß der Wissenschaftssenat nachweisen, daß Fink ein echter Spitzel war und kein irregulärer. Dazu braucht er in der Logik der ersten Instanz die Zeugen von der Stasi. Die aber verweigerten sich den Senatserwartungen. Ein Verdacht gegen Fink aber reicht nicht. „Wir rütteln an den Grundlagen des Rechtsstaates, wenn wir keinen vollständigen Beweis führen“, mahnte Seyboldt. Heute fällt das Urteil.