Die kleinen feinen Minenmacher

■ Die Minen wurden im italienischen Brescia produziert

Unter den norditalienischen Städten hat sich Brescia, 210.000 Einwohner, stets für so etwas wie das „Juwel“ schlechthin gehalten: Die einst gallische Siedlung wurde von Römern und später Langobarden nicht nur zur Provinz beziehungsweise zum Fürstentum, sondern auch zum Kulturzentrum erhoben. Aus dem Distrikt Brescia kommen gleich bündelweise wichtige nationale Politiker: vom Vorkämpfer für Pazifismus und Ökologie Sergio Andreis, über den bisherigen Minister für öffentliche Arbeiten Giovanni Prandini bis zum derzeitigen christdemokratischen Parteichef Mino Martinazzoli. Doch nun kleben seit einiger Zeit einige dunkle Flecken an der frommen Stadt mit ihren nicht weniger als drei uralten Domen und der weltberühmten Piazza della loggia. Staatsanwälte und Presse finden immer häufiger in der feinen Vorzeigestadt statt leuchtender Kulturkoryphäen düstere Händler des Todes, die – so jedenfalls bereits vorliegende Gerichtsurteile – ungeniert Embargos übertreten oder umgehen und die vor allem mächtig zur Aufrüstung im Nahen und Mittleren Osten beigetragen haben. Speziell die Firmen Valsella und Misar sind da ins Visier gekommen – Musterbetriebe des italienischen Mittelstandes, die mit hochgradiger Spezialisierung und Rationalisierung zu Spitzenzeiten Umsätze in Höhen von umgerechnet mehr als 100 Millionen DM erzielten, und das mit Belegschaftsstärken von oft weit unter 200 Personen.

Bereits Mitte der 80er Jahre fanden Minensucher im Suezkanal und im Persischen Golf Treibgut, das aus Brescia stammte – auf Eisen reagierende Sprengkörper gegen Schiffe. Zu deren Bergung schickte die italienische Regierung schnellschnell Räumboote los, die die bösen Stachelkugeln (Typenname „Manta“), weil zu Hause amtsbekannt, ohne Schwierigkeiten bargen und entschärften; Hersteller war die Misar. Und wenn die humanitären Hilfskonvois nun im Irak über die im Norden oft lückenlos verminten Felder und Wälder Kurdistans vorrücken, finden sie schon wieder Made in Italy: Da liegen zu Zehntausenden Anti- Mensch- und Anti-Panzer-Minen herum.

Daß sie von der Firma Valsella stammen, leugnet auch der Hersteller nicht. Allerdings haben die Firmen sich eine komplizierte Philosophie ad hoc zugelegt, mit der sie erklären, warum ihre Todesbringer nun dort liegen, wo sie nach dem Kriegswaffenausfuhrgesetz und den Embargovorschriften gar nicht sein dürften. Zum großen Teil sollen sie, so Valsella und Misar, schon von vor 1980 stammen, als die Ausfuhr in Italien noch nicht strafbar, die Waffenblockade seitens der EG und der UNO noch nicht in Kraft war.

Da sind Experten allerdings anderer Meinung. Der „Osservatorio sul commercio delle armi“ in Florenz, kurz OSCAR, äußerte „starke Zweifel, ob da nicht noch Minen in Zehntausenderpackungen nachgeschoben wurden“. Wie sich herausstellte, hat zumindest die Valsella in Singapur eine Dependence, mit deren Hilfe es unentwegt möglich war, Waffen mit anderweitigem Endabnehmerzertifikat dennoch in den Iran und den Irak und auch in andere kriegführende Länder zu verscherbeln; mitunter ging die Route auch über Jordanien. Mehr als 250.000 Minen soll, nach OSCAR-Berechnungen, die Valsella zur gefälligen Bedienung in alle Welt verkauft haben. Tatsächlich wurden ihre Leiter, obwohl sie alle leugneten, 1991 in erster Instanz (die Revision steht noch aus) zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt. Verquerer Nebeneffekt: während die Misar in den 80er Jahren alles Notwendige zur Räumung verfügbar machte, sind die inzwischen weitgehend ausgeschiedenen Manager der Valsella schon um ihrer eigenen „Wahrheit“ willen (sie sehen sich als Komplottopfer) außerstande, firmenseits für die totale Bergung zu sorgen.

Das Problem für Brescia und Italiens Industrie besteht nun darin, daß die kreglen Explosionskörperhersteller nicht ganz autonom sind – bei der Misar ist die noble Turiner Firma Fiat direkt beteiligt, und über einige Umwege hat sie auch bei der Valsella ihre Finger mit drin. In Turin erklären die Büros des Fiat-Herrschers Gianni Agnelli freilich, die Beteiligung an den Waffenschmieden in Brescia habe man erst angenommen, als diese ihre krummen Touren ließen, so daß der Periodenplan so aussieht: Zuerst durften die Firmen angeblich legal ausführen, dann kam die düstere Periode, in der die Umsätze der Valsella sich verzehnfachten, und nun, da wieder alles beim alten eher kleinkrämerischen Produzieren, dafür aber mit Saubermann-Attitüde versehen ist, gehören derlei Firmen zum Fiat-Konzern, und die Sinpaurer Dependence ist natürlich auch ganz lammfromm und liefert nur dorthin, wo keiner jemals an Kriege denkt. Da kann man bei OSCAR nur lachen: „Wer's glaubt, wird selig“. Werner Raith, Brescia