: Wir wollen keinen Eurobrei
■ Peter Glotz zur EG-Filmkultur: Es muß sich auch ästhetisch etwas ändern
taz: Seit der Weimarer Republik mit ihren Arbeiterfilmen hat es keine ausgewiesene SPD-Filmpolitik mehr gegeben. Wo besteht heute die Verbindung zwischen der Partei und der Filmkultur?
Peter Glotz: Ich glaube, der Unterschied zur Weimarer Republik besteht darin, daß es heute keine inhaltlich bestimmte Filmpolitik einer politischen Partei, etwa im Sinne Mehrings, mehr geben kann. Aber es muß das Interesse politischer Parteien geben, daß Film zur Darstellung unserer oder auch europäischer Probleme, als Kommunikationsmittel genutzt werden kann. Allein mit dem Buch gegen die visuelle Übermacht einer amerikanisierten globalen Massenkultur zu kämpfen, reicht nicht aus.
Aber gerade die dem Buch verwandte, narrative Filmkultur wurde doch auf dem SPD Symposium für die Unterlegenheit des europäischen Films verantwortlich gemacht.
Ich glaube, das ist zu kurz gedacht. Hark Bohm hat deutlich gemacht, daß die Krise zum einen von der Marktmacht der Amerikaner, zum anderen aber auch von einem – insbesondere deutschen – Elitismus und einer Tendenz, sich dem Erzählerischen zu verweigern und an den Problemen der Menschen vorbeizudenken, herrührt. Insofern kann man das Problem nicht ausschließlich dadurch lösen, daß man Verleihsysteme ändert oder Quotenregelungen einführt, sondern es muß sich auch ästhetisch etwas ändern. Die geistige Tradition, die von Heine, Börne bis hin zu Lion Feuchtwanger reicht – also eine demokratische Massenkultur mit durchaus hohem Niveau – die ist natürlich sehr gebrochen in Deutschland.
Eignen sich denn die Lebensverhältnisse in Europa noch zum Geschichtenerzählen?
Die Kompliziertheit der europäischen Modernisierung hat dazu geführt, daß es eine reflexive Kultur gibt, die man in den Vereinigten Staaten so nicht kennt, und auch dazu, daß wir unsere Probleme mit dem planen, einfachen Erzählen haben. Daraus würde ich aber nicht schließen, daß nach Robert Musil nicht mehr im Stil von Josef Roth erzählt werden kann. Die „elitären“ Zirkel sind ja versorgt: Es gibt „Das kleine Fernsehspiel“ beim ZDF, aber es muß auch den großen Publikumsfilm geben, der etwas anderes transportiert als „Rambo“ und der „Terminator“.
Ich hatte auf dem Symposium den Eindruck, man verabschiedet sich vom Konzept des Autorenfilms, was ja auch den Abschied von einem bestimmten romantischen Modell des Künstlertums bedeutet: Man will lieber arbeitsteilige Kooperationen als das Fassbindersche Originalgenie, das gleichzeitig Produzent, Cutter, Drehbuchautor etc. ist...
Ich glaube die Politik hat nicht das Recht, sich von irgendeiner bestimmten Kunstform zu verabschieden. Es wird immer Herbert Achternbusch geben, aber es muß daneben eben auch Nachfolger für die Fellinis geben, die große Publikumsfilme machen und im Zweifelsfall drei Drehbuchautoren beschäftigen in unterschiedlichen Phasen. Ich glaube zum Beispiel, daß ein Teil der Krise des europäischen Films im Problem der Stoffe und der Bücher liegt. Das liegt nicht nur daran, daß die Kischs und Feuchtwangers sehr selten sind in Deutschland, das liegt auch am Förderungssystem. Ich fürchte, unsere Gremien lesen nur Dialoglisten, viele können die Bildleiste der Drehbücher gar nicht lesen. Der professionelle Drehbuchautor muß mehr gefördert werden.
Europa hat in Ihren Thesen heute eine eher geringe Rolle gespielt. Welche Bedeutung hat Maastricht für die deutsche Filmförderung?
Gar keine. Ich fürchte, Maastricht wird nicht realisiert, weil die Dänen und die Engländer es kaputtmachen. Aber wir wollen ja auch keinen Eurobrei. Wir wollen keine „Eurokops“, sondern, um einmal ein großes Thema zu nennen, Filme über den bosnischen Krieg, den Zerfall Jugoslawiens, das Aufkommen des Nationalismus in Osteuropa. Das kann nicht aus Maastricht oder Brüssel verfilmt werden. Wir brauchen eine Filmförderung, die es möglich macht, daß die Serben ihre Probleme darstellen; man darf die kulturellen Differenzen nicht einfach verwischen.
Wäre die SPD bereit, sich für einen Standort wie Babelsberg, der ja auf innereuropäische Kooperation ausgerichtet ist, einzusetzen?
Die SPD ist kein Auftraggeber. Ich glaube, die SPD sollte ihren Einfluß in Rundfunkanstalten dahingehend geltend machen, daß Babelsberg überlebt. Aber ich sage gleich, daß das nicht einfach ist: Es gibt die Bavaria in München, das Filmstudio Hamburg; es gibt eine Standortkonkurrenz der Länder, und es gibt manifeste Interessen der großen Rundfunkanstalten. Da ist es kompliziert, einen neuen Anbieter mitzuziehen. Ich bin dafür, daß man das versucht, aber die SPD entscheidet das nicht im Parteivorstand, sondern entscheiden müssen das die Intendanten und Programmdirektoren in den Anstalten. Die kann man vielleicht beeinflussen von einer Partei her, aber man kann sie nicht steuern. Interview: mn
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