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Geburtsort: Dresden. Zukunft: unsicher

Eine vietnamesische Familie in der sächsischen Landeshauptstadt zwischen Bangen und Hoffen: Abschiebung oder Bleiberecht?/ „Wir sind hier Gastgeber, genau wie die Deutschen“  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die Glastür zum Zehngeschosser in einem Dresdner Neubaugebiet ist mit einem Stahlgitter gesichert. „Vorbeugend“, lächelt Hoa und läßt hinter uns die Tür ins Schloß rasseln. Der kleine Fahrstuhl hat seine Not, alle BesucherInnen mitzunehmen. Anna Fleming, Beraterin in der ökumenischen Hilfsstelle „Cabana“, Pham, der Dolmetscher und Freund der Familie, seine Frau, die ein pausbäckiges Bündel im Arm trägt, und der Reporter. An der Wohnungstür erwartet uns Thanh mit ihrem Baby. Sie bittet in die Stube, die beiden Vietnamesinnen aber ziehen sich ins Nebenzimmer zurück. Baby begutachten; Flasche geben. „Mein Sohn kam nur 12 Stunden später zur Welt als ihrer“, erzählt Thanh, „ich habe sie im Krankenhaus kennengelernt, wir lagen nebeneinander.“

Hoa berichtet von seiner Familie, die wie die anderen VietnamesInnen in diesem Wohnheim darauf wartet, daß die deutsche Regierung über ihr Schicksal befindet. „Nein, wir sind noch nicht darauf vorbereitet, daß wir vielleicht ab Januar ausreisen müssen. Wir hoffen noch auf eine politische Entscheidung“, erklärt er mit viel Zuversicht in der Stimme. Das Signal für diese Entscheidung könnte der Bundesrat schon an diesem Freitag setzen, wenn er der Initiative Brandenburgs zustimmt, den „VertragsarbeiterInnen“ ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren. An diese Hoffnung klammert sich heute der „Vietnamesenblock“, wie das Haus, im günstigen Fall, von den deutschen Nachbarn genannt wird.

Wenigstens bis das Kind auf eigenen Füßen steht, möchten Hoa und Thanh noch in Dresden bleiben. Als sie vor drei Jahren in der DDR eintrafen, wußten sie nicht, was auf sie zukommt. In Vietnam waren sie über „Solidarität zwischen Bruderländern“ unterrichtet worden. Daß es nach Dresden geht, erfuhren sie auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Daß er in einem „Backwarenkombinat“ arbeiten werde, hörte der Akademiker Hoa erst in Dresden. „Ich wollte etwas Geld für meine Familie verdienen und ein anderes Land kennenlernen“, erinnert er sich an sein Motiv, die Reise ins Ungewisse anzutreten und den Schock der Ankunft zu verwinden. „Alle Vietnamesen, die in dem Betrieb arbeiteten, hatten völlig andere Berufe“, auch das half ihm etwas, mit der Situation fertigzuwerden. Hoa lernte mit den anderen Deutsch, und er fand deutsche Freunde am Arbeitsplatz. „Es war nicht gern gesehen, daß solche Kontakte entstanden. Wenn man miteinander arbeitet, ist das doch aber unvermeidlich. Ich könnte sonst gar nicht existieren.“ Mit einigen seiner deutschen KollegInnen von damals ist Hoa noch immer befreundet, auch mit seiner Deutschlehrerin. Im Schrank bewahrt er Fotos auf, von gemeinsamen, angenehmen Stunden mit den Dresdnern.

„Ghettoisierung, wie sie heute manchmal dargestellt wird, hat es nicht gegeben. Wir waren wie unsere Kollegen im Kino, im Theater, beim Tanz. Heute haben wir Angst. Wir gehen abends nicht mehr auf die Straße.“ Er habe, ergänzt Hoa, aber auch schon erlebt, daß ihn Unbekannte in der Straßenbahn besorgt nach der Situation der VietnamesInnen befragen und ihm beste Wünsche auf den Weg geben. Er fühle sich nicht als Gast in Deutschland, stellt er behutsam fest. Gekommen sei er als Gastarbeiter. Heute, nach all der Arbeit, nachdem er hier auch Freunde hat, die wie er selbst mit neuen Verhältnissen leben lernen müssen, heute sei er „Gastgeber“.

Diskriminierung erlebten vietnamesische GastarbeiterInnen in der DDR auf einer versteckten Ebene. Pham kennt Frauen, die ein Kind erwarteten und vor die „Wahl“ gestellt wurden, abzutreiben oder nach Hause zu fahren. Beide Länder haben bei dieser Erpressung und noch einigen anderen Deals „brüderlich“ zusammengearbeitet. Selbst den Bruch von Gesetzen scheuten sie nicht. Nachdem die DDR das internationale Abkommen über Familienzusammenführung unterzeichnet hatte, florierte das Geschäft. Ein Lehrling kostete 12.000, eine Vertragsarbeiterin 9.000 Mark der DDR. Beträge, weit mehr als ein Jahreseinkommen, die VietnamesInnen ans Vaterland zahlen mußten, wenn sie in der DDR heiraten und dort bleiben wollten. Erst wenn bezahlt war, hat die DDR ihrerseits Dokumente ausgestellt. DDR-Betriebe waren sehr erfreut, ihrem permanenten Personalmangel mit neuen Arbeitsverträgen abhelfen zu können. Die Lotterwirtschaft brauchte fleißige Hände.

Hoa und Thanh wollen „hierbleiben, ohne eine finanzielle Last für Deutschland zu sein“. Hoa arbeitet als Essenträger, und sein Chef hält zu ihm, hofft wie er auf ein Bleiberecht. Auch Thanh hatte bis zu ihrem Schwangerschaftsurlaub einen Job. Anna Fleming zeigt den „Offenen Brief der Vereinigung der Vietnamesen in den neuen Bundesländern“. Dem verbreiteten Vorurteil, VietnamesInnen würden den Deutschen auf der Tasche liegen oder Arbeitsplätze wegnehmen, werden darin Zahlen entgegengehalten. 70 Prozent der Landsleute haben eine Gewerbeerlaubnis, meist für Imbißstellen oder Textilverkaufsstände. In der Öffentlichkeit habe sich aber das Bild vom illegal mit Zigaretten und Klamotten handelnden Vietnamesen verfestigt. „Viele Leute können es kaum fassen, daß die meisten Händler längst eine Gewerbeerlaubnis haben.“ An dem schiefen Bild ist keine rechtsradikale Organisation schuld, sondern die politische Praxis im Beitrittsgebiet. VietnamesInnen waren die ersten, die entlassen wurden, und die sofort einsetzende Abschiebedebatte beförderte sie schnell an den Rand der Gesellschaft. „Sehr viele Vietnamesen sind als Akademiker, als Architekten, als Musiker in die DDR und ans Fließband gekommen“, gibt die Cabana-Beraterin zu bedenken. „Es ist traurig, daß sich die meisten nicht in ihrem studierten, sondern in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf arbeitslos gemeldet und damit um Chancen gebracht haben. Jetzt fangen sie an, sich als Händler oder in einer Gaststätte eine neue Existenz aufzubauen. Ich meine, wir haben auch eine Verantwortung diesen Menschen gegenüber, eine solche neue Existenz nicht zu gefährden.“

In Vietnam, das steht für Hoa außer Frage, würde er keinerlei Arbeit finden. Wer aus Deutschland kommt, hat keine Not, heißt ein ungeschriebenes Gesetz in dem armen Land.

Eines Tages möchte Hoa trotzdem mit seiner Familie nach Vietnam zurückkehren, und er wünscht sich, daß es gleich ihm auch andere wieder nach Hause zieht. „Ich habe Verantwortung gegenüber meiner Familie“, begründet er sein Heimweh. In ein demokratisches Vietnam könnten viele der Landsleute aus Deutschland Wertvolles einbringen. Wenn Deutschland sie nicht vorher ausliefert, an den Geheimdienst, die Armee, die Partei, die Familie. „Wer jetzt nach Hause zurückkehrt, bleibt dort lange Zeit ein Fremder“, bestätigt Pham. Besonders hart betroffen seien Frauen. Anna Fleming weiß aus ihrer Beratung bei Cabana, wie die Frauen, die in der Fremde ihren Ehemännern „untreu“ geworden sind, gar einen anderen geheiratet haben, von den Familien verstoßen werden. „Die Tragik der Familien ist doch, daß die Leute, die hier bis zu neun Jahren gelebt haben, in diesen Familien eine bestimmte soziale Stellung hatten, die dadurch bestimmt war, daß sie diese zum wesentlichen Teil versorgt haben. Wenn sie jetzt nach Hause kommen, stehen sie sozial vor dem Nichts. Sie müßten sich ihre soziale Stellung erst neu erarbeiten.“

Täglich stehen VietnamesInnen in der Beratungsstelle „Cabana“ an. Das Haus Kreuzstraße 7 ist ihre wichtigste Adresse in Dresden. Anna Fleming und ihr vietnamesischer Kollege haben mittlerweile bundesdeutsches Recht inhaliert und eine Reihe guter Rechtsanwälte an der Hand. Täglich wird das Leben der ehemaligen VertragsarbeiterInnen komplizierter und für viele auch rechtlich riskanter. „Die ewig unentschiedene Diskussion um ein politisches Bleiberecht verleitet viele dazu, ihren allgemeinen Verwaltungsrechtsweg zu verbummeln“, beschreibt Anna Fleming die akute Notlage der Gastarbeiter. „Dazu kommt, daß der normale Verwaltungsrechtsweg völlig unklare aufenthaltsrechtliche Verhältnisse birgt. Die Betroffenen können häufig nicht arbeiten, kriegen kein Arbeitslosengeld, können oft nicht einmal Sozialhilfe beantragen. Da heißt es bei der Behörde nur: Wir schieben den nicht ab, bis das und das entschieden ist, und das kannst du im Paß nicht fixieren. Mit einem Papierchen allein kannst du nichts machen. Wir haben Leute, die, obwohl wir immer abraten, nur aus sozialen Gründen ins Asylverfahren gehen, unter falschem Namen, wenn es sein muß. Damit verbauen sie sich das Bleiberecht.“

Leidenschaftlich vertritt Frau Fleming die Sache der einst ins Bruderland gelockten und nun nicht mehr gelittenen ArbeiterInnen. Den drohenden Verlust einer wichtigen Erfahrung für ihre ostdeutschen Mitmenschen bedauert sie ebenso: „Wenn hier die Leute überhaupt Ausländer kennengelernt haben, dann sind das Mosambikaner und Vietnamesen. Als Kollegen, Patienten, Nachbarn oder weil sie sich eine Hose haben nähen lassen.“ VietnamesInnen haben in der DDR jahrelang den Bedarf an Markenjeans gedeckt, bis hin zum echten Wrangler-Aufnäher. „Egal ob einzelne eine gute oder schlechte Erfahrung mit diesen Ausländer verbinden, sie haben eine konkret erfahrene Meinung. Das waren keine Fremden mehr. Und ausgerechnet diese weitgehend integrierten und von vielen Bürgern akzeptierten Ausländer sollen nun abgeschoben werden.“

Bei weitem nicht alle VietnamesInnen sehen dem neuen Jahr noch mit soviel Zuversicht entgegen wie Hoa. Panik verdrängt nach und nach die Unsicherheit. In der Beratungsstelle auf der Kreuzstraße reden sich viele Betroffene diese Ängste von der Seele. „Viele denken, sie werden am 1. Januar gleich abgeschoben. Die Folge ist, sie gehen jetzt in die Illegalität, oder sie stellen Asylanträge“, hat Anna Fleming in den letzten Wochen erfahren. Die Angst vor der Polizei am Neujahrsmorgen kann sie ihnen noch leichten Herzens nehmen. „Mir ist es ein Rätsel“, lacht sie, „wie der Staat das je praktisch schaffen will.“ Die Frage sei, „wieviel Strafsachen auf uns zukommen. Wir werden nicht weniger Ausländer haben, wenngleich das den Bürgern suggeriert wird, aber einen Wust von Verwaltungsrechtsverfahren.“

Hoa muß morgen früh raus, auf Arbeit. Sein Sohn im Strampelanzug schläft eben mal wieder eine Weile. „Geburtsort: Dresden“ wird in seinen Papieren stehen, wo immer er aufwächst. Und der Dresdner wird seine Eltern fragen, was sie in diese Stadt, in dieses Land getrieben habe und wie es ihnen dort ergangen sei. Es ist Abend geworden. Das Wohnheim steht als eine riesige, stille, dunkle Scheibe aus Beton an der Straße. Die Nachbarn sind Deutsche. Wenn die VietnamesInnen kein Bleiberecht in Deutschland erhalten, wird diese langweilige Straße in einem Dresdner Neubauviertel bald „ausländerfrei“ sein.

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