Marmeladenpilz tötet Nierenempfänger

■ Zwölf Tote in drei Wochen an der Frankfurter Uniklinik

Frankfurt (taz) – „Wie die Fliegen“ seien die Patienten gestorben, schnell und unaufhaltsam. Krankenschwestern berichten aus der Transplantations-Nachsorge des Frankfurter Universitätsklinikums von rätselhaften Lungenentzündungen, die hauseigene Pathologie findet in immer mehr Toten Herde einer Pilzart, die für Gesunde harmlos, für frisch Operierte tödlich ist: Aspergillus Fumigatus heißt der rauchgraue Schimmelpilz, der in jedem schlecht geputzten Brotkasten schimmert, in den Lungen von Immungeschwächten aber die gefürchtete Aspergillose auslöst, die „finale Komplikation“, das Todesurteil für Empfänger von Niere, Leber, Herzklappe oder Knochenmark. Bei der Operation wird die körpereigene Abwehr medikamentös heruntergefahren, damit der Körper das neue Organ nicht sofort wieder abstößt.

Pilzsporen infizieren deswegen leicht Todkranke und sind wegen ihrer geringen Größe in jedem Krankenhaus gefürchtet. Nur mit Staffeln von besonders ausgestatteten Filtern kann man sie aus der Raumluft wieder herausbekommen.

Doppelt so viele Transplantierte wie im letzten Jahr starben in der Frankfurter Uniklinik seit drei Wochen, bis gestern waren es zwölf Menschen. Es sind Dialyse- Patienten, die zum Teil jahrelang auf die rettende Spenderniere gewartet hatten.

Die Klinikleitung ist ratlos, stoppte zunächst alle Herzklappen-Transplantationen und schließt Operationssäle, in denen die giftigen Sporen gefunden werden. Andere Operationen gehen weiter, wenn auch unter verschärften Hygienebedingungen, wie aus der Klinikleitung bekannt wird. Kenner der Uniklinik sehen einen direkten Zusammenhang der Häufung von Aspergillus-Toten und Bauarbeiten, die in den oberen Stockwerken begonnen haben.

Das 20 Jahre alte Hochhaus wird gerade für 130 Millionen Mark umgebaut, tonnenweise schaffen Bauarbeiter asbestverseuchte Rohrisolierungen und Hunderte von staubigen Deckenplatten über Schächte nach unten. Das geschieht bei laufendem Krankenhausbetrieb, und wer will, marschiert direkt von der Baustelle in die Stationen. Ein Plastikvorhang zwischen den sensiblen Bereichen weht im Wind, Staub kann sich ungehindert verbreiten. Im achten Stockwerk, direkt unter dem Sanierungsbereich, verteilt sich der Dreck bis vors Krankenbett, weil die Verbindungstür sperrangelweit offen steht. Der Weg von federleichten Asbestfasern und jahrelang unberührten Pilzvorkommen in den Stäuben läßt sich ab dort nicht mehr kontrollieren. Jeder Arztkittel, Teewagen oder Schacht der Klimaanlage bietet Raum zur Verbreitung der lebensbedrohenden Pilzsporen bis hinunter in die OP-Etage. Zum Skandal werden diese offensichtlichen Nachlässigkeiten mit Todesfolge, weil die Klinikleitung davon weiß und wußte. Der Chef der medizinischen Direktion, Prof.Werner Groß, sieht auf Anfrage zwar einen Zusammenhang von Bauarbeiten im Zentralgebäude der Klinik und den Toten. Er habe deshalb die Bauarbeiten stoppen und die Stockwerke erneut reinigen lassen.

Die Warnungen seiner Kollegen Professoren von vor Monaten, die ausdrücklich vor einer herkömmlichen Asbestsanierung gewarnt hatten, wurden von der Verwaltung und dem Hessischen Staatsbauamt verworfen.

Professor Wolfgang Stille, Infektiologe und Pilz-Experte der Universitätsklinik Frankfurt, war mit vehementen Briefen intern auf den Plan getreten und hatte die jetzt aufgetretenen Schwierigkeiten prophezeit. Die Literatur beschreibe zahlreiche Fälle von Lungen-Aspergillose, wenn in der Nähe Gebäude abgerissen oder pappe- oder holzartige Materialien zerkleinert würden. Es sei bekannt, daß der Pilz sich von Zellulose ernährt und erst dann gefährlich wird, wenn Feuchtigkeit an ihn dringt und er zu wandern beginnt. Im Fall des Frankfurter Uniklinik- Hauptgebäudes seien diese beschriebenen Voraussetzungen für eine Verbreitung ideal gegeben. Um so unverantwortlicher, so Prof.Stille, sei das Fortsetzen von Transplantationen, jetzt, nach Bekanntwerden einer Häufung von Pilztoten.

Das empfinden Staatsanwälte genauso. Sie ermitteln wegen eines Anfangsverdachts auf fahrlässige Tötung. Alf Haubitz