Stolpe-Ausschuß stochert im Nebel

■ Vor dem Untersuchungsausschuß war viel über die Entspannungspolitik, aber wenig zur genauen Rolle Stolpes zu erfahren / Der anstehende Abschlußbericht wird den Fall IM "Sekretär" nicht klären

Potsdam (taz) – Der Vorgang war einigermaßen brisant. In der Volksrepublik Polen eskalierte der Konflikt zwischen der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Solidarność und der kommunistischen Regierung. Nicht nur Bonn fürchtete einen Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten, der für die sozialliberale Koalition ein Ende der Entspannungspolitik bedeutet hätte. Ein halbes Jahr bevor in Warschau schließlich das Kriegsrecht ausgerufen wurde, setzten sich die ranghöchsten Vertreter der Bundesregierung mit zwei führenden Kirchenfunktionären aus der DDR zusammen. Altkanzler Helmut Schmidt und Ex- Außenminister Hans-Dietrich Genscher trafen sich am 16. Juli 1981 in Bonn mit dem Berliner Bischof Albrecht Schönherr und dem damaligen Konsistorialrat Manfred Stolpe. Beide Male war Polen das vorherrschende Thema.

Das Ergebnis beider Gespräche findet sich in den Stasi-Unterlagen wieder, die im Zusammenhang mit den Stasi-Vorwürfen gegen Brandenburgs Ministerpräsidenten Stolpe von der Gauck-Behörde dem Potsdamer Untersuchungsausschuß übergeben wurden. Altkanzler Schmidt kommt darin schlecht weg. Er könne verstehen, steht in der ehedem streng geheimen „Information“, „wenn sich die Sowjetunion engagiert, denn sie muß als Führungsmacht ihren Laden reinhalten“. Wenn sich aber die DDR, wenn sich Deutsche einmischten, „dann gäbe es absolutes Unverständnis“.

Der Informant war Manfred Stolpe. Vor dem Untersuchungsausschuß in Potsdam bestritt er am Dienstag abend allerdings, den Gesprächsinhalt so weitergegeben zu haben. „Keine Widerspiegelung dessen, was ich gesagt habe“, erklärte er den Ausschußmitgliedern, die darauf verzichteten nachzufragen, was Stolpe dann konkret dem Stasi-Obersten Joachim Wiegand berichtet hat. Stolpe beteuerte weiter, während seiner insgesamt rund 120 Treffen mit Vertretern der Staatssicherheit, eine „Berichtspflicht“ weder akzeptiert noch praktiziert zu haben.

Stolpes Rolle als Mittler zwischen Ost und West ist unumstritten. Altbischof Albrecht Schönherr gab dem Ausschuß zu Protokoll, er habe Stolpe angewiesen, von den Gesprächen den DDR- Staatssekretär Klaus Gysi zu unterrichten. Auch Schmidt und Genscher nahmen den Ministerpräsidenten vor dem Vorwurf in Schutz, er habe die Vertraulichkeit gebrochen. Beide sagten aus, im Wissen darum mit den Kirchenvertretern gesprochen zu haben, daß diese zu Hause zu berichten hatten. Schmidt sprach ausdrücklich auch von einem Auftrag, Informationen an die DDR-Führung nach „ganz oben“ weiterzugeben.

Stolpes genaue Rolle bleibt aber trotz der Aussagen Schmidts und Genschers im dunkeln. Nach den dem Ausschuß vorliegenden Akten hat der Kirchenmann im Rahmen eines Maßnahmenplanes „Reaktion“ im Vorfeld der Reise von der Stasi den Auftrag erhalten, die Position der Bundesregierung zu den Vorgängen in Polen zu „erarbeiten“. Festgehalten wurde darin auch, daß der IM „Sekretär“ nach der Rückkehr seinem Führungsoffizier umgehend berichtet. Daß dies so geschehen ist, wird durch die Akten nahegelegt.

Daß die Reise „staatlichen Stellen angezeigt“ wurde, räumte Manfred Stolpe ein. Vehement wehrte er sich aber gegen eine Gleichsetzung „des IM Sekretär mit meiner Person“. Den Maßnahmenplan erklärte er mit der Annahme, daß sich die entsprechende Stasi-Abteilung damit „wichtig machen“ wollte. Für die Oberen im MfS sollte so etwas wie eine prompte Pflichterfüllung konstruiert werden.

Unbestritten ist auch, daß sich Stolpe im Anschluß an die Reise mit der Stasi in Verbindung setzte – wie er sagte, aber aus eigenem Antrieb. Er habe den Weg gewählt, weil dieser „erfahrungsgemäß eine schnelle Information des Politbüros sicherstellte“. Am 12.Mai hat Stolpe vor dem Ausschuß noch angegeben, „keinerlei Lieferung“ über die Gesprächsinhalte gemacht zu haben. Dienstag abend präzisierte er, dies habe sich auf „Einschätzung“ über West-Politiker bezogen.

Seit Monaten schwimmt der Ausschuß in Potsdam. Im Januar soll ein letzter Zeuge vernommen werden, dann geht es ans Schreiben eines Abschlußberichtes. Abzusehen ist, daß dieser den Fall Stolpe letztlich nicht klären wird – es wird eine Aneinanderreihung von Ausnahmesituationen werden. Stolpe, wird es unter Berufung auf die gehörten Stasi-Zeugen heißen, sei „irregulär“ als Inoffizieller Mitarbeiter registriert worden; die von ihnen in der Wendezeit vernichtete IM-Akte wird mehr oder weniger als Schublade gewertet werden, in der die Stolpe betreffenden Informationen abgelegt wurden.

Den Titel einer Ausnahme wird auch das Kapitel über die Verleihung der DDR-Verdienstmedaille an Stolpe tragen. Zwar hat der Stasi-Offizier Klaus Roßberg unter Eid gesagt, er habe die Auszeichnung persönlich an Stolpe übergeben. Weil Roßberg für eine gleichlautende Aussage im Fernsehen Geld erhalten hat, wird sich diese Version nicht gegen die des früheren Leiters der Kirchenabteilung, Joachim Wiegand, durchsetzen können. Der sagte aus, daß die Stasi zwar den Orden beschafft habe, verliehen worden sei er aber durch den Kirchen-Staatssekretär Hans Seigewasser.

Nennenswerter Widerspruch ist nicht zu erwarten – seit der Regierungspartner Bündnis 90 den Weg einer Regionalpartei favorisiert, ist er auf die SPD im Lande angewiesen. Die wird zu verhindern wissen, daß Stolpe demontiert wird. Wenn der Fall dann ausgestanden ist, wird auch die Arbeitslast in der Staatskanzlei geringer. Die Arbeitsgruppe „Heiligenschein-Reparatur“, wie amtsintern die mit dem Fall Stolpe beauftragten Mitarbeiter genannt werden, kann wieder aufgelöst werden. Wolfgang Gast