Drushba trotz leerer Taschen

■ Moskau und Bonn unterzeichnen Finanz- und Wirtschaftsabkommen

Moskau (taz) – In letzter Minute gelang es dann doch noch: Nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl und der russische Präsident Boris Jelzin nicht nur in Moskau, sondern auch beim vertraulichen Vieraugengespräch in einer Datscha Breschnews an der Wolga stundenlang über die geplanten Wirtschafts- und Finanzabkommen beraten hatten, konnte am Mittwoch mittag schließlich Erfolg vermeldet werden. Die achtjährige Stundung der 17,5 Milliarden Mark, die Rußland der Bundesrepublik schuldet, war unter Dach und Fach. Sie sollen mit dem russischen Eigentum an Grund und Boden in Deutschland verrechnet werden.

Doch gleich von Beginn an war der zweitägige Besuch Kohls in Moskau eine Zwitterunternehmung gewesen. Dem Range nach kein ganz offizieller, aber auch kein reiner Arbeitsbesuch, artete die Unternehmung für die Delegationen schließlich in Hektik aus. Bis Reisebeginn war eine Reihe der geplanten Abkommen noch nicht unterschriftsreif. Doch Zeit ist Geld – das hat man in Rußland mittlerweile auch begriffen. Eine Verzögerung steigert mithin den Preis. So drohte die Tour zu einer reinen „Solidaritätsvisite“ für den strauchelnden Jelzin zu werden. Der bemühte sich gleich, seinen größten Kreditgeber Kohl über den Fortgang der Reformen zu beruhigen. Mit einigem Erfolg, wie es scheint.

Bis zum Schluß war nicht klar, welche Verträge im einzelnen unterschrieben würden. Schließlich jedoch konnten sich beide Seiten auf einen beschleunigten Abzug der russischen Truppen aus Deutschland bis zum 31. August 94 einigen. Im Gegenzug erhält Rußland 550 Millionen Mark zusätzlich für Wohnungen der heimkehrenden Militärs. Vor dem Abflug mit dem Hubschrauber direkt aus dem Kreml auf das Anwesen Sawidowo, 140 Kilometer vor Moskau, hatte sich Jelzin zuversichtlich gezeigt. In den „heiklen Fragen“ der Schulden würden beide eine Lösung finden. Zur „Sicherheit“ nahm Kohl jedoch auch Waigel und Kinkel mit.

Trotz dieser Einigung gibt es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rußland noch einiges zu verhandeln. Noch immer offen ist so zum Beispiel die Frage der Wiedergutmachung für sowjetische Nazi-Opfer. Auf Klärung wartet außerdem der gesamte Komplex „russischer Gastarbeiter auf Zeit“.

Unabhängig von der konkreten innenpolitischen Entwicklung sucht Rußland traditionsgemäß eine besondere Nähe zu Deutschland. Unter Außenminister Kosyrew und Premier Gaidar ging die Orientierung eine Zeitlang eher in Richtung USA. Die Politiker konservativer Couleur und jene, die auf einer Sonderrolle Rußlands beharren, sahen dagegen immer in Deutschland ihren wichtigsten westlichen Ansprechpartner.

Heute klingt das wieder an, wenn der einflußreiche Industriellenlobbyist Arkadi Wolski von einer Rückkehr zu diesen Verhältnissen spricht. Ungeachtet fruchtbarer Phasen in der Kooperation beider Länder seit Peter dem Großen und Friedrich Wilhelm I., überschattet die vielzitierte Gemeinsamkeit die eigentümliche Neigung beider zu „Sonderrollen“. Kein empfehlenswerter Rückgriff auf die Geschichte. Klaus-Helge Donath