■ Fraatz-Rücktritt
: Noch absolut bundesligatauglich

Als Tusem Essen am 18.April 1991 im Rückspiel des Handball- Pokalfinales dem TV Niederwürzbach mit 17:20 unterlag und trotzdem den Cup gewann, war dies das Verdienst eines Mannes – Jochen Fraatz. Der damals 28jährige zeigte zwar eines seiner schlechteren Spiele, doch hatte er im Vorspiel in der Gruga-Halle mit neun Treffern für einen beruhigenden Fünf-Tore-Vorsprung Tusems gesorgt.

Letzten Mittwoch kehrte Jochen Fraatz ins Saarland zurück, aus mehrfachem Anlaß. Zum einen wurde in Saarbrücken die Joachim-Deckarm-Halle eingeweiht, aber – viel wichtiger – Jochen Fraatz bestritt sein letztes Länderspiel – allerdings diesmal nicht für, sondern gegen die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes. Die trennte sich in seinem Abschiedsspiel nach guter Leistung mit einem 23:23-Unentschieden von einer Weltauswahl, für die Fraatz dreimal traf.

187 mal hat er seine unnachahmlichen „Dreher“ bei Freundschaftsspielen, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zelebriert, dabei 822 Tore geworfen. Jochen Fraatz ist der einzige deutsche Spieler, den der schwedische WM- Trainer Bengt Johannson in das auch Weltauswahl genannte All- Star-Team berufen hatte. Seine sportlichen Erfolge kann Fraatz nur so herunterleiern, es hört sich fast an wie die Bilanz eines Franz Beckenbauer. Bei der Junioren-WM 1983 in Finnland gab es ebenso Silber wie bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles. Dazu kamen drei deutsche Meisterschaften mit Tusem (1986, 1987 und 1989) und zwei Pokalsiege (1988 und 1991) sowie als Highlight der Sieg im Europacup der Pokalsieger 1989. Der „begabteste Handballer der achtziger Jahre“ (Trainer Petr Ivanescu) hat aber auch die schlimmsten Flops der Handballnationalmannschaft miterlebt. 1989 bei der B-WM in Frankreich stürzten sich die wurfschwachen Dilettanten in die Drittklassigkeit, die die Glücksritter nur durch die deutsche Vereinigung abwenden konnten. Und das Desaster von Barcelona 1992 haben alle Handballfreunde noch alptraum-like vor Augen.

Doch der zehnte Platz bei Olympia ist nicht der Grund für die internationale Demission. Jochen Fraatz ist es leid, für den Handball durch die Welt zu ziehen. Der Streß hat den Fastdreißiger eingeholt. Und geheiratet hat er letzte Woche, Katja Hilschenz heißt sie, Ärztin ist sie und hat ihren Jochen wohl gleich durchgecheckt. Ergebnis: absolut bundesligatauglich, sonstige Belastungen sind zu vermeiden. So bleibt Jochen Fraatz der Bundesliga erhalten, wenngleich auch hier für Streßwochen reichlich gesorgt ist. Selbst am 23.Dezember müssen die Werfer in der aufgeblähten 18er-Liga noch mal ran. Doch für einen wie Jochen Fraatz ist das Routine. 271 mal hat er in der Bundesliga gespielt, dabei 1.756 Tore erzielt, darunter 550 Siebenmeter. Als Torschütze läßt er so den kommenden Bundestrainer Arno Ehret hinter sich. Der könnte Fraatz gerade jetzt bei der WM in Schweden vom 9. bis 20.März 1993 gut gebrachen. Aber Jochen Fraatz hat sich entschieden, will sich als Banker etablieren und ein Häusle bauen. Mögen diverse Nationaltorhüter auch Erleichterung verspüren, da Fraatz sie nicht mehr verzweifeln lassen wird – Jochen Fraatz spielt noch vier Jahre im Dreß von Tusem, zum Schrecken der Michael Krieters und der Andreas Thiels.

Günter Rohrbacher-List