■ Vorlauf: Lebewohl: "Das Ebnde einer Reise"
„Das Ende einer Reise“, Samstag, 20.40 Uhr, arte
Dem Dokumentarfilm eilt der Ruf voraus, er sei langweilig. Nicht ohne Grund, mißverstehen doch viele Vertreter dieses Genres die Kamera als eine die Wirklichkeit konservierende Maschine, deren Output nur noch sortiert werden muß. Das Ergebnis dieser standardisierten Bildberichterstattung: Filme, so authentisch und spannend wie der tägliche Wetterbericht. „Das Ende einer Reise“ von Heiner Stadler entkräftet dieses Vorurteil auf die schönste Weise. Hier bekennt sich ein Dokumentarfilmer zum Prinzip der Autorschaft und nutzt virtuos die daraus erwachsenden Möglichkeiten.
Im April 1931 bricht eine französische Expedition in Beirut auf: 40 Männer, ausgestattet mit Spezial-Kettenfahrzeugen von Citroen und dem filmischen Dokumentationsapparat von Pethé. Das Ziel der Reise ist Peking. Knapp ein Jahr später erreicht die Expedition China. Der Leiter Georges Marie Haardt stirbt in Hongkong an Pneumonie. Sein Stellvertreter Victor Point erschießt sich nach seiner Rückkehr in Frankreich. Dennoch ist ihnen Unsterblichkeit beschieden: 1933 kam der Film über die Expedition in die Kinos: „La Croisiére Jaune“ – die gelbe Kreuzfahrt, ein pathetische Epos über den Triumph der Technik. Soweit die Vorgeschichte.
1991 macht Heiner Stadler die Reise der „Croisière Jaune“ noch einmal. Die weltpolitische Situation hat sich gewandelt. Die zweite Expedition stößt immer wieder auf geschlossene Landesgrenzen. Die Alliierten haben gerade mit der Operation „Wüstensturm“ gegen den Irak begonnen. Vor 60 Jahren war Krieg in China, jetzt kämpfen die Mudschahedin in Afghanistan gegen die Machthaber in Kabul. Im filmischen Reisetagebuch fließen Gegenwart und Vergangenheit ineinander. Die betörend schönen Bilder verbinden sich mit dem essayistischen Kommentar zu einer Reflexion über das Reisen und die Zeit. Eine der schönsten Szenen spielt in einem syrischen Hotel: Als sich der greise Inhaber von den Reisenden verabschiedet, tut er das mit der gleichen formvollendenten Courteoisie, mit der er 60 Jahre zuvor der „Croisière Jaune“ Lebewohl gewünscht haben mag. Am Ende der zweiten Reise wird im Hafen von Hongkong eine Schreibmaschine über Bord geworfen: ein Modell aus den dreißiger Jahren, auf dem während der Fahrt das Tagebuch entstand. Das Ende der zweiten Reise verweist symbolisch auf das Ende der ersten. Doch die Schreibmaschine geht nicht unter, sondern schwimmt. Martin Muser
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