Wortwahl-betr.: "Erinnerungssplitter" von Petra Kohse, taz vom 10.12.92

Betr.: „Erinnerungssplitter“ von Petra Kohse,

taz vom 10.12. 92

Petra Kohse schreibt in ihrer Rezension von „Gras und Sand“ (David Schütz), Lotte-Miriam sei „Halbjüdin“. Ist es noch nicht zu Ihnen durchgedrungen, daß dies ein von den Nazis geprägter Begriff ist? Wegen des kritischen Geists, der in der taz bezüglich der Rechten herrscht, hätte ich hier solch eine Wortwahl nicht erwartet.

Nach den Nürnberger Gesetzen war „Halbjude“, wer „nur“ einen jüdischen Elternteil hatte. Antisemiten machen somit auch den zum Juden, der es nicht ist. Denn nach der Halacha, dem jüdischen Gesetz, ist nur Jude, wer eine jüdische Mutter hat. Dieses Gesetz basiert auf der Tatsache, daß die Mutterschaft eines Kindes immer klarsteht, während die Vaterschaft nicht problemlos nachgewiesen werden kann.

Bei aufmerksamem Lesen hätte Frau Kohse entdeckt, daß Johanna, Lotte-Miriams Mutter, vor der Hochzeit übergetreten war; Lotte-Miriam ist also, halachisch gesehen, jüdisch.

Darüber hinaus frage ich mich, wie Frau Kohse das Buch vom sprachlichen Aspekt dermaßen „verreißen“ konnte; sie hat doch lediglich eine Übersetzung, nicht aber das Original gelesen. Sie fragt sich jedoch nicht, ob die zu recht angeführte Kritik an der Sprache etwa an der Übersetzung liegt, sondern bezichtigt David Schütz der literarischen Unfähigkeit. Gerade LiteraturkritikerInnen müßten doch wissen, wie schwierig das Verhältnis zwischen Original und Übersetzung zuweilen sein kann, und dieser Tatsache Rechnung tragen.

Da ich das Original gelesen habe, möchte ich dieser Kritik heftig widersprechen. Es ist David Schütz sehr wohl anhand von Sprache gelungen, den einzelnen Personen einen jeweils eigenen Charakter zu verleihen. Auch wenn es mir (da ich ebenfalls aus dem Hebräischen übersetze) falsch ausgelegt werden mag, möchte ich hinzufügen, daß Übersetzungen von Ruth Achlama von Hebräischkennern häufig als „hölzern“ empfunden werden. Ruth Melcer-Kahana, Berlin