■ Ab heute soll die Bundeswehr wieder weltweit dabeisein
: Somalischer Hunger als Druckmittel

Der Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Somalia war seit dem Abschluß der Zwei-plus-vier-Gespräche, seit der Wiedererlangung der vollen Souveränität Deutschlands also, eine beschlossene Sache. Nur daß Somalia viele Namen hat. Mal hieß es Namibia, das mit BGS-Truppen beglückt wurde. Dann hieß es Kambodscha, wo die Bundeswehr dann doch nur ihre Feldlazarette aufschlagen durfte, und zuletzt lag Somalia in der Adria. Dort soll die Besatzung der Fregatte „Hamburg“ fast gemeutert haben, als Verteidigungsminister Rühe entschied, daß sie an Durchsuchungen mutmaßlicher Embargobrecher nicht teilnehmen darf. Um nun nicht vollends „der Verachtung der Welt“ anheimzufallen, wie der oberste Soldat vor zwei Tagen bei der Vorstellung der mittelfristigen Bundeswehrplanung jammerte, muß Somalia jetzt in Somalia liegen.

Daß die 1.500 Soldaten jetzt als Verfassungsfeinde und nicht als Helden der Nation nach Afrika dampfen werden, hat mit dem Showdown des Westens, der Mutter aller Schlachten in der Wüste Kuwaits zu tun. Damals mußten die deutschen Krieger abstinent bleiben. Das soll nicht wieder vorkommen, schließlich ist die deutsche Armee einer Tradition verpflichtet, die sich nicht im Verteilen von Mullbinden erschöpft.

Doch Kohl läßt sich nicht auf einen Verfassungsbruch ein, nur damit die Bundeswehr wieder stolz auf sich sein kann. Die Kurse für die militärische Machtwährung sind seit dem Ende des Kalten Krieges, als der mögliche Zusammenprall der Supermächte nur in apokalyptischen Szenarien gedacht werden konnte, kontinuierlich im Steigen begriffen. Krieg ist wieder machbar und wird damit zu einem Faktor der Außenpolitik, auf den die Bundesregierung keinesfalls verzichten möchte. Aus diesem Grund hat Kohl sich bisher kategorisch dem Anliegen der SPD verweigert, eine Grundgesetzänderung durchzuführen, die die Bundeswehr auf Dauer verpflichtet, lediglich an Blauhelmeinsätzen teilzunehmen. Um eine solche Festlegung zu vermeiden, arbeitet die Bundesregierung mit großem Erfolg an der Verbreiterung der verfassungsrechtlichen Grauzone und entdeckt fast wöchentlich Spielräume, die zuvor nicht existierten. Vor dieser Stimmungsdemokratie, die die Verfassung in den Rang einer beliebigen Kann-Bestimmung eines Verwaltungsgesetzes drückt, droht die SPD, wie schon in der Asylfrage, erneut einzuknicken.

Zwar will die SPD gegen den Somalia-Einsatz in Karlsruhe klagen, zwar gilt offiziell immer noch, daß die Bundeswehr nur mit blauem Helm oder nach einer grundlegenden Reform der UNO das Nato-Vertragsgebiet verlassen dürfen soll – doch Kohl weiß, daß die Führung der SPD auch in diesem Punkt eher mit ihm als mit der Mehrheit der eigenen Partei marschiert. Nur so ist die Dreistigkeit der Bundesregierung zu erklären, nur deshalb kann Kohl damit rechnen, daß sich der Protest der Opposition in klar kalkulierbaren Grenzen halten wird. Schließlich will auch ein zukünftiger SPD-Kanzler mal wieder mit der Bundeswehr drohen können – die Angst, sonst auf der Weltbühne nicht richtig mitspielen zu können, hat die SPD-Führungsriege längst infiziert.

Schließlich ist auch der Anlaß gut gewählt. Warum sollen sich nicht auch die Deutschen von verzweifelten Somaliern feiern lassen, und wo könnte man seinen Wiedereinstieg in die bewaffnete Weltpolitik besser zelebrieren als bei einem Einsatz, der weder ökonomische noch strategische, noch irgendwelche anderen egoistischen Erwägungen erkennen läßt. Jürgen Gottschlich