Nicht bei den Schwächsten sparen

■ Der SPD-Abgeordnete Hans-Jochen Vogel über die Vorstellungen der SPD zum Solidarpakt

taz: Herr Vogel, was verspricht sich die SPD davon, wenn sie gemeinsam mit der Bundesregierung versucht, einen Solidarpakt herbeizuführen?

Hans-Jochen Vogel: Der Begriff Solidarpakt ist unscharf, und ich vermag gegenwärtig nicht zu erkennen, was in diesem Solidarpakt alles stehen soll. Deswegen läßt sich Ihre Frage so nicht beantworten. Ich bin jedoch der Meinung, daß die Situation in den neuen Bundesländern, vor allen Dingen die Beschäftigungssituation – im Durchschnitt sind dort 40 Prozent der Erwerbsfähigen ohne normale Arbeitsverhältnisse –, ungewöhnliche Anstrengungen erfordert und zwar Anstrengungen, die Einsparungen und Steuererhöhungen voraussetzen. Im Interesse der Menschen, insbesondere in den neuen Bundesländern, müssen dafür Lösungen über die Grenzen von Opposition und Koalition hinweg gefunden werden.

Ist das ein Schritt zu einer de facto Großen Koalition?

Nein, die Lage der Menschen in den neuen Bundesländern erfordert solche Schritte. Ich bin ein Gegner der Großen Koalition, es sei denn, die Wähler erzwingen sie. Aber es ist notwendig, daß bei Fragen dieser Tragweite und Bedeutung über die Grenze von Koalition und Opposition hinweg gemeinsam nach Lösungen gesucht wird, schon wegen der Situation im Bundesrat.

Es zeichnet sich ab, daß das Föderale Konsolidierungskonzept, das ein Teil des Solidarpaktes ist, drastische Einschnitte im Sozialsystem bedeutet. Es kann doch nicht im Interesse der SPD liegen, solche Einschnitte mitzutragen?

Das Interesse der SPD liegt darin, den Menschen in den neuen Bundesländern zu helfen und endlich zu den Korrekturen zu kommen, die wir schon lange vorschlagen. Was sich hinter dem Stichwort Föderales Konsolidierungskonzept im einzelnen verbirgt, weiß ich nicht. Das ist bisher alles undurchsichtig und unklar. Infolgedessen muß natürlich am Anfang stehen, daß die Bundesregierung endlich in prüfbarer Weise sagt, was sie will. Sonst kann man keine Gespräche führen. Wir haben unsere Vorstellungen in dem Sofortprogramm, das auf dem Parteitag verabschiedet worden ist, konkretisiert.

Und wie sehen die im einzelnen aus?

Wir fordern eine Industriepolitik, die den weiteren Zusammenbruch der Produktionsstrukturen beendet, Korrekturen in der Frage Rückerstattung vor Entschädigung durch Umkehrung des Prinzips. Wir haben gesagt, soweit nicht durch Einsparungen die notwendigen Mittel aufgebracht werden, müssen auch Steuererhöhungen beschlossen werden, nämlich eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Abgeordnete und Selbständige sowie die Wiedererhebung eines etwas modifizierten Solidaritätszuschlags zur Einkommenssteuer.

Wie sollte der modifizierte Solidaritätszuschlag denn aussehen?

Der sollte im wesentlichen so aussehen wie der alte, sollte aber erst ab 60.000 Mark Jahreseinkommen bei Ledigen und 120.000 Mark bei Verheirateten beginnen, weil die schwächeren Einkommen jetzt schon überproportional einen Beitrag leisten.

Ist es für die SPD tragbar, Kürzungen mitzumachen wie die mögliche Streichung des Inflationsausgleiches bei der Sozialhilfe oder die erwogene Kürzung des Erziehungsgeldes?

Dazu hat sich die SPD bereits klar geäußert. Einsparungen können nicht bei den Schwächsten und denen beginnen, die am unteren Ende der Skala stehen, also nicht bei den Sozialhilfeempfängern. Interview: Dorothee Winden