Waigel will „FKK“ für den Aufschwung im Osten

■ Ein Föderales Konsolidierungskonzept (FKK) soll neben dem Lohnverzicht einen Teil des Solidarpakts finanzieren

Die Wirtschaftswoche bezeichnete den Solidarpakt Anfang Dezember spöttisch als „Kohls große Illusion“. Seit einigen Wochen verhandelt der Bundeskanzler mit der Gewerkschaftsspitze und den Arbeitgebervertretern hinter verschlossenen Türen.

Grundgedanke des Solidarpaktes ist „die Selbstbindung der Tarifpartner für den Aufbau Ost“, erläutert ein Sprecher des Finanzministeriums. Die hohen Löhne seien ein Hindernis für den Aufschwung im Osten.

Die Gewerkschaften sollen zu einer maßvollen Tarifrunde angehalten werden, die Arbeitgeber zu verstärkten Investitionen. Wie man die freien Unternehmer allerdings dazu verpflichten will, gesparte Lohnkosten tatsächlich im Osten zu investieren, weiß im Finanzministerium niemand.

Für Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann ist natürlich die Lohnpolitik das „Kernstück des Solidarpakts“. Beim DGB verweist man dagegen auf die „maßvollen Forderungen“ der laufenden Tarifrunde, die zwischen fünf und 7,5 Prozent liegen. Die Zurückhaltung gilt jedoch nur für den Westen. IG-Metall-Chef Franz Steinkühler will vom vereinbarten Stufenplan, wonach am 1.April 1993 die Löhne und Gehälter auf 80Prozent des Westniveaus angehoben werden, nicht abrücken. Diese Lohnsteigerung treibt aber Ostunternehmen und Treuhandbetriebe noch weiter in die roten Zahlen. Nach Ansicht der Arbeitgeber wird die Lohnerhöhung vielen Betrieben „den endgültigen Todesstoß“ versetzen. Über den Erfolg neuer staatlicher Aufbauprogramme in Ostdeutschland entscheiden letztlich die Tarifparteien, so das Urteil der Wirtschaftswoche.

Das Kernproblem des Aufschwungs Ost – die fehlenden Investitionen – wird sich nach Meinung des DGB jedenfalls nicht allein durch Lohnverzicht lösen lassen. Mittlerweile hat die Bundesregierung eingesehen, daß der Staat einspringen muß, wo sonst kein Investor in Sicht ist. In Kürze soll ein neues Milliardenprogramm aufgelegt werden, das vor allem dem Mittelstand im Osten zugute kommen soll. Auch die Rettung der „industriellen Kerne“, die sich Kanzler Kohl neuerdings auf die Fahnen geschrieben hat, will finanziert sein.

Um die Mittel für den Aufbau Ost zusammenzukratzen, muß Finanzminister Waigel beim Nachtragshaushalt 1993 den Rotstift ansetzen. Mit einem „Föderalen Konsolidierungskonzept“, sinnigerweise FKK abgekürzt, will Waigel im Bundeshaushalt mehrere Milliarden sparen. Hinter dem Kürzel FKK verbirgt sich nichts anderes als ein massiver Sozialabbau. Schon im kommenden Jahr sollen mit Hilfe eines Haushaltsstrukturgesetzes gesetzlich garantierte Leistungen eingeschränkt werden, die von den Ländern oder Städten bezahlt werden. Wie der Spiegel berichtet, sollen auf diese Weise fünf bis zehn Milliarden eingespart werden, und zwar bei den Sozialausgaben.

Seit Wochen kursieren Spekulationen über Sparpläne im Blätterwald, die, sollten sie Realität werden, diesmal ans Eingemachte gehen. In der Frankfurter Rundschau hieß es unter Berufung auf „Informationen aus der Regierungskoalition“, daß das Arbeitslosengeld gekürzt werden könnte. Zur Diskussion stünden auch Einschränkungen bei der Sozialhilfe und – obwohl offiziell dementiert – auch ein dreijähriger Gehaltsstop im öffentlichen Dienst.

Nach Angaben aus Gewerkschaftskreisen sind auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer oder der Mehrwertsteuer weiter im Gespräch. Wie die Berliner B.Z. meldete, erwägt Finanzminister Waigel, die Leistungen für Familien mit Kindern drastisch zu kürzen. Im Finanzministerium werde derzeit als eine möglich Sparmaßnahme die pauschale Reduzierung des Erziehungsgeldes von 600 auf 500 Mark monatlich geprüft. Dadurch könnten nach Berechnungen des Ministeriums 1,3 Milliarden Mark eingespart werden. Als andere Sparmöglichkeit werde eine einkommensabhängige Staffelung des Erziehungsgeldes schon ab dem ersten Monat geprüft.

„Alles Rumraterei“, winkt ein Sprecher des Finanzministeriums ab. „Erst wenn das Gesamtpaket steht, wird man sehen, daß die Einschnitte breit gefächert sind, daß es viele Gruppen trifft.“ Beim Deutschen Gewerkschaftsbund befürchtet man dagegen, daß „ein Paket geschnürt wird, das mit Solidarpakt nichts zu tun hat“.

Vor dem Hintergrund der katastrophalen Arbeitslosigkeit im Osten und der Konjunkturabschwächung im Westen sind für die Gewerkschaften drei Punkte unverzichtbar: die Sanierung der noch im Besitz der Treuhand befindlichen Betriebe anstelle einer vorbehaltlosen Liquidierung oder Privatisierung; die Förderung der Nachfrage nach Produkten aus Ostdeutschland und eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wenn schon die BürgerInnen für die Einheit zur Kasse gebeten werden sollen, dann soll die Verteilung der Lasten gerecht sein, fordert der DGB. Gewerkschaften und SPD schlagen außer der Wiedereinführung eines Solidaritätszuschlags für ArbeitnehmerInnen vor allem die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe vor. Damit sollen auch diejenigen an den Kosten der Einheit direkt beteiligt werden, die bisher verschont blieben: die Beamten und Selbständigen. Die Gewerkschaften begrüßen zwar staatliche Investitionen im Osten, sehen aber nicht ein, warum die Bundesregierung den Unternehmen in einer Zeit, wo alle den Gürtel enger schnallen sollen, mit einer Unternehmenssteuerreform Milliarden schenken will.

Ob der Solidarpakt zustandekommt, hängt auch von einer Einigung zwischen Bund und Ländern über den Finanzausgleich und über die Finanzierung der „Erblasten“ der verblichenen DDR ab. Allein für letzteres veranschlagt Waigel 400 Milliarden Mark. Spätestens wenn ab 1995 die neuen Länder in den Finanzausgleich einbezogen werden, wird eine allgemeine Steuererhöhung für die Finanzierung fällig. Wahrscheinlicher aber ist, daß nicht erst 1995, sondern bereits kurz nach der Sparrunde die Steuerrunde fällig wird. Dorothee Winden