Bundeswehr: Helm auf in aller Welt

■ Salamitaktik für eine Ausweitung der Bundeswehreinsätze

Berlin/Genf (taz) – Die Entscheidung der Bundesregierung zur Entsendung von 1.500 bewaffneten Bundeswehrsoldaten nach Somalia ist nur das vorläufig letzte Glied in einer Kette des schleichenden Verfassungsbruchs, und zweifellos dessen bisheriger Höhepunkt. Die Entscheidung zeigt zugleich: in der Koalition haben sich diejenigen durchgesetzt, die als Voraussetzung für den weltweiten Einsatz deutscher Soldaten statt einer Veränderung des Grundgesetzes durch eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages lediglich eine schlichte Neuinterpretation der Verfassung für ausreichend halten.

Mitte der 50er Jahre hatte sich die Remilitarisierungspolitik der alten westdeutschen Republik mit der Bundeswehr noch auf das Nato-Vertragsgebiet beschränken lassen. Artikel 87a und 115a des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 6 des Nato-Vertrages beschränken das Einsatzgebiet deutscher Soldaten (ob mit oder ohne Waffen, Sanitäter oder Panzerschütze) für den „Verteidigungsfall“ eindeutig auf das Bundesgebiet und für den „Bündnisfall“ auf das Nato-Vertragsgebiet (Europa, Nordamerika und der Nordatlantik bis zum Wendekreis des Krebses).

Vorschläge wie beispielsweise der einer Gruppe von CDU-Außen- und Sicherheitspolitikern um Manfred Wörner im Jahre 1979, die Verteidigung des damals angeblich von der Sowjetunion bedrohten Südafrika zur Aufgabe der Nato (und damit auch der Bundeswehr) zu machen, blieben ohne ernsthafte Resonanz. In einem Beschluß aus dem Jahre 1982 bekräftigte der Bundessicherheitsrat noch einmal ausdrücklich das Verbot von Bundeswehreinsätzen außerhalb des Nato-Gebietes („out of area“).

Die schleichende Aushöhlung dieser Grundsätze begann keineswegs erst mit der deutschen Vereinigung im Herbst 1990 und der damit Deutschland angeblich zugefallenen „größeren internationalen Verantwortung“. Nach Ende des Krieges zwischen Iran und Irak im August 1988 wurden deutsche Kriegsschiffe ins Mittelmeer geschickt. Der Gewöhnung der überwiegend skeptischen Öffentlichkeit an Bilder deutscher Uniformträger im Ausland diente auch die Beteiligung von Bundesgrenzschützern an der Überwachung des Wahlprozesses in Namibia im Jahre 1989. Nach dem zweiten Golfkrieg mischten bereits Minenräumboote der Bundesmarine beim ersten Out-of-area-Einsatz deutscher Streitkräfte mit. Es folgten der Einsatz von Bundeswehrhubschraubern im Nordirak und die Beteiligung einer Sanitätseinheit der Bundeswehr an der „humanitären Aktion“ der UNO in Kambodscha. Bis zur gestrigen Somalia-Entscheidung letzter Akt war die Teilnahme deutscher Kriegsschiffe an der Überwachungsaktion von Nato und WEU in der Adria.

Seit der deutschen Vereinigung wird diese Salamitaktik beim Schaffen neuer Fakten von der Bundesregierung im Rahmen der Neudefinition deutscher Außen- und Sicherheitspolitik auch offen politisch untermauert. „Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.“ Mit diesen Worten läutete Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vom Januar 1991 die neue Ära ein.

Wie weitgehend inzwischen weltweite „deutsche Interessen“ definiert werden, die mit militärischen Mitteln durchzusetzen seien, zeigt das im Januar von der Hardthöhe vorgelegte sogenannte „Stoltenberg-Papier“. Die Umstrukturierung der Bundeswehr hin zu weltweit einsatzfähigen mobilen Verbänden und ihre Ausrüstung mit den für künftige Out-of-area- Aktionen benötigten Waffen und Transportkapazitäten ist längst angelaufen. Dieser Prozeß läuft weitgehend am Parlament vorbei.

Die Befürworter der Ausweitung von Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr innerhalb der Koalition wie in der SPD standen seit Beginn der offenen Debatte vor drei Jahren immer vor einem Dilemma. 35 Jahre lang hatte man Bitten westlicher Verbündeten auf Teilnahme an Out-of-area-Aktionen immer mit Verweis auf das Verfassungsverbot abgelehnt. Nun einfach zu erklären, eine Teilnahme sei doch möglich, auch ohne Verfassungsänderung, müsse bei den Verbündeten sehr unglaubwürdig wirken – diese Meinung war lange Zeit in der Koalition vorherrschend. Positionen wie die des CDU-Politikers Rupert Scholz, der von Beginn der Debatte behauptete, Artikel 24 der Verfassung erlaube den Out-of- area-Einsatz zum Zwecke „kollektiver Verteidigung“ und mit dem UNO-Beitritt 1974 habe die Bundesrepublik sogar entsprechende internationale Verpflichtungen übernommen, blieben zunächst in der Minderheit.

Jetzt haben sie sich durchgesetzt. Das Kalkül der Bundesregierung lautet offenbar, daß die Schreckensbilder aus Somalia und Ex-Jugoslawien, die uns allabendlich in die Wohnstuben flimmern, der Entscheidung zur Entsendung der 1.500 Bundeswehrsoldaten auch eine ausreichende Unterstützung in der Bevölkerung sichern. Andreas Zumach