Neu im Kino: Yves Montand in "IP5"

Neu im Kino:

Yves Montand in „IP5“

Was haben ein Pariser Rapper und sein graffitisprühender Freund im großen, tiefen Wald zu suchen ? Warum machen sie unter der Leitung eines seltsamen Landstreichers im Regencape einen Schnellkursus in Naturmystik und Freundlichkeit ? Wie schafft es Yves Montand in seiner letzten Filmrolle, auch noch nackt mit faltigem, schlaffen Körper so würdevoll und souverän zu wirken, obwohl ihm der 11-jährige Sengalese Sekkou Sall in jeder ihrer gemeinsamen Szenen die Show stiehlt ?

So rätselhaft wie der Titel bleibt vieles im neuen Film von Jean-Jacques Beineix. Zuerst ist er eine Milieustudie der grauen Pariser Vorstädte, in denen die beiden Freunde Tony und Jockey sich mit Skinheads und Jockeys Vater, der sich systematisch totsäuft, abplagen müßen. Wenn die beiden Paris verlassen, zuerst um eine Wagenladung häßlicher Gartenzwerge nach Grenoble zu fahren, dann um Tonys Freundin in Toulouse zu finden, wird der Film zum Roadmovie — schön anzusehen, aber etwas diffus und beliebig. Doch dann treffen die beiden den alten Sonderling Leon. Widerspenstig aber unaufhaltsam werden sie von ihm in den Wald gezogen, und wie Alice im Wunderland machen sie hier märchenhafte und existenzielle Erfahrungen, bei denen sich den verrohten und oberflächlichen Kriegern des Asphaltdschungels die wahren Gefühle und die mystische Schönheit der Natur offenbaren.

Ja, genau: das riecht verdächtig nach Kitsch und Klischee, und Beineix ist oft kurz davor, in Peinlichkeiten zu versinken. Der Erzählfluß kommt manchmal arg ins Stocken, und die deutsche Fassung leidet sehr daran, daß Flüche und Beleidigungen im Französischen viel besser klingen. Aber wen stören solche Kleinigkeiten, wenn er in prächtigem CinemaScope in einen überwältigend schönen Wald Der große Alte: nackt, würdevoll

geführt wird; wenn Graffitis, Straßen, Landschaften von der Kamera in Poesie verwandelt werden; wenn die Bilder die eigentliche Geschichte von Liebe und Magie erzählen. Beineix ist alles andere als ein vorsichtiger, vernünftiger Filmemacher. Er geht immer an die Grenze, und seine Filme erreichen entweder Kultstatus wie „Diva“ und „Betty Blue“, oder sie gehen völlig daneben wie „Der Mond in der Gosse“ und „Roselyn“, der erst garnicht auf unseren Leinwänden auftauchte. An IP 5 kann man gut sehen, wie nah bei ihm Triumpf und Scheitern liegen können. Wenn die Bilder nur etwas weniger schillern würden, wenn nur ein Baum mehr umarmt worden wäre, oder wenn Yves Montand nicht als meschugger Heiliger solch eine brilliante schauspielerische Abschiedsvorstellung geliefert hätte, wäre IP 5 sicher böse abgestürzt. So aber hält Beineix genau die Balance und zeigt großes, pures Kino, wie es vielleicht nur durch solche Gratwanderungen möglich ist.

Wilfried Hippen

Schauburg 18.00, 20.45, 23.30 Uhr (Fr. + Sa. nicht 23.30 Uhr)