Bremer Fahrrad-Manufaktur speckt ab

■ Der Musterbetrieb mustert SchrauberInnen aus und kriegt ein Mitbestimmungsmodell

hier foto fahrrad

Der Anfang ist fast schon Legende in der Geschichte des selbstverwalteten Wirtschaftens: Fünf Bremer, Taxifahrer, überzeugte Radfahrer und Schrauber, schlossen sich zusammen und gründeten in Bremen die Fahrradmanufaktur. Im Rücken hatten sie den Verbund der selbstverwalteten Fahrradläden, an die hundert Läden über die ganze Republik verteilt. Gemeinsames Ziel: Wir wollen bessere Räder!

Das Unternehmen stand unter einem glücklichen Stern: Der Senat gab ein Darlehen aus dem Fonds für ökologische Beschäftigungsinitiativen. Der Fahrradmarkt boomte. Die nicht eben billigen, in Handarbeit geschraubten Räder der Manufaktur waren gefragt. In den selbstverwalteten Läden hatte die Manufaktur einen festen Abnehmerkreis. Das selbstverwaltete Unternehmen kam mit den Lieferungen kaum nach. Und wuchs und wuchs. 4.000 Räder verließen im ersten Jahr die Fahrradmanufaktur. Fünf Jahre später, 1992, schraubten die mittlerweile 60 MitarbeiterInnen 17.000 Fahrräder zusammen, erzählt Geschäftsführer Jürgen Schnier. Die Fahrradmanufaktur hätte ein Musterbetrieb des selbstverwalteten Wirtschaftens werden können.

Doch plötzlich, für Manufaktur und Läden überraschend, war es mit dem Fahrradboom vorbei. Die fertig geschraubten Fahrräder blieben im Lager stehen. „Die Fahrradmanufaktur hat in diesem

Jahr Verluste gemacht“, räumt Jürgen Schnier ein. Jetzt sollen Stellen abgebaut werden, einige Zeitverträge laufen zum Jahresende aus. Dennoch müssen mindestens zehn Prozent der Belegschaft entlassen werden. Gleichzeitig wollen die Fahrradläden mit haftendem Kapital in die Manufaktur einsteigen. Verbunds-Geschäftsführerin Ulrike Sade erhofft sich davon „die Möglichkeit, mehr Einfluß zu nehmen“. Über das Beteiligungsmodell wird noch verhandelt.

Trotz rückläufiger Bestellungen fabrizierte die Manufaktur in diesem Jahr weiter wie bisher. Wie konnte das passieren? Der Fahrradmarkt sei hart, klagt Geschäftsführer Jürgen Schnier und übt zurückhaltende Selbstkritik: Die inneren Strukturen seien nicht so schnell gewachsen wie der Betrieb. Schnell ist er bei der Schuldzuweisung wieder beim Markt angelangt: „Seit 1990 stagniert der Absatz“. Sechs Millionen Fahrräder wurden in den besten Zeiten in der Bundesrepublik in einem Jahr verkauft. Die Zahlen sind rückläufig. Und die Konkurrenz in Italien und Holland schläft nicht. „Früher wurden mehr Fahrräder aus Deutschland exportiert als importiert“ schildert Ulrike Sade, die Geschäftsführerin des Verbundes der selbstverwalteten Fahrradläden. „Jetzt sind die Fahrradimporte nach Deutschland erheblich gestiegen.“

Die Fahrradläden haben ein handfestes Interesse an der Sanierung des Unternehmens. Nicht nur die Manufaktur ist von ihrem festen Abenehmerkreis, den Läden, abhängig, auch die Läden von ihrer Manufaktur: einige verkaufen zu 80 Prozent Manufakturfahrräder. Und der Versuch der Bremer, sich den Markt über die Verbund- Läden hinaus zu öffnen, steht noch am Anfang. Daß „ihr Produkt“ auch in anderen Fahrradläden, womöglich gar in ihrem eigenen Einzugsgebiet verkauft werden sollte, stieß bei den VerbundLäden auf Widerstand.

Auch im Inneren der Fahrradmanufaktur brechen sich revolutionäre Neuerungen Bahn. Seit einem Jahr gibt es in dem ursprünglich selbstverwalteten Betrieb einen Betriebsrat. 80 Prozent der Schrauber sind inzwischen in der IG Metall organisiert, erzählt Betriebsrat Klas Meier. „In den letzten Jahren wurde nur auf die Umsatzsteigerung geachtet“, kritisiert er, „ein Konzept hat gefehlt“. Daß Kritik nicht gehört wurde und neue Ideen „irgendwo im Nirgendwo“ versickerten, habe in der Belegschaft eine „gewisse Frustration“ hervorgerufen. Jetzt verhandeln Betriebsrat und Geschäftsführung über Tariflöhne und einen Mitbestimmungsvertrag. „Vielleicht kommt dadurch was voran“, hofft ein Mitarbeiter. „Schließlich hat das Betriebsklima entscheidenden Einfluß auf die Produktivität.“ Und auch der Geschäftsführer räumt ein: „Vielleicht wäre es besser, wenn es so einen Betriebsrat schon früher gegeben hätte.

Und so wird die Fahrradmanufaktur vielleicht doch noch ein Musterbetrieb: „Wir werden“, sagt der Betriebsrat, „wahrscheinlich bundesweit der erste selbstverwaltete Betrieb, der einen Tarifvertrag abschließt.“ Diemut Roether