Nur ein einsames Leuchtstäbchen

■ Ortsbesichtigung: Das Metropol am Nollendorfplatz

Auf der Tanzfläche herrscht Gedränge, kein Stück Boden ist mehr zu sehen. Drumherum stehen die Schaulustigen, jeder dritte raucht. Nur oben auf der Galerie, die sich fast um den gesamten Saal zieht, herrscht angenehme Frische. Hier stehen kleine Tische mit Bistro-Stühlchen und verheißen müden Beinen Erquickung, klaren Köpfen ein Gespräch. Die jungen Damen allerdings, die sich hingesetzt haben, hüllen sich in Schweigen. Sie haben ihre kleinen Handtaschen auf das Tischtuch gelegt, das so weiß ist wie ihre Blusen, und halten sich an den Trageriemen fest. Sie warten, bis die Männer mit den Getränken von der Bar zurückkehren. Im Hintergrund Paare, die keinen Platz gefunden haben. Die Frauen schmiegen sich wortlos an ihre Begleiter.

An der versiegten Kommunikation kann nicht die Lautstärke schuld sein. Seit das Metropol Mitte Oktober seine Renovierung feierte, beschallt die 15.000-Watt- Anlage, auf zwei seitlichen Schienen angebracht, allein die Tanzfläche. In den sechs Bars dagegen, die in sämtlichen verfügbaren Nischen des Hauses untergebracht wurden, herrscht normale Kneipenstimmung. Gemurmel gibt den Ton an. Die Bedienung versteht die Bestellung sofort und köpft vorsichtig die Becks-Flasche, die hier 6 DM kostet. Kellner in weißen Schürzen sammeln die Pilstulpen hinter den Gästen wieder ein. Alternativ werden am spiegelverglasten Tresen Sekt und Faßbier zu fünf Mark angeboten. Alkoholfreies ist noch mal billiger. Cocktails wiederum gibt es im Erdgeschoß neben der Garderobe mit Weihnachtsbaum. Die Wahl fällt schwer: Jedes Séparée dieser „Erlebnisgastronomie“, wie der Fachbegriff für overstylte Theken lautet, ist grandioser als das andere. Knapp sieben Millionen Mark hat die Renovierung des ehemaligen Theaters am Nollendorfplatz gekostet. Ohne öffentliches Geld ist aus dem 1906 eröffneten „Neuen deutschen Schauspielhaus“, das auch die Bühne von Erwin Piscator beherbergte und später Kino und schmuddelige „Front-Disco“ war, ein Mega- Tanzboden mit integriertem Veranstaltungsbetrieb geworden, in dem der Geschmack der achtziger Jahre fröhliche Urständ feiert. Schon das Treppenhaus schmückt eine italienische Mittelmeerlandschaft, die Graffiti- und Edding- Künstlern Einhalt gebieten soll. Neben plastischen Elementen wie Balkon-Attrappen ragen hier kleine Straßenlaternen aus der Wand. Sie dienen im Ernstfall als Notbeleuchtung. Halogenstrahler simulieren einen Sternenhimmel. Die Cocktailbar hingegen gibt sich mit Gitterrastern und einem Tanzkäfig sehr Manhattan-like, im Foyer des zweiten Stocks stehen imitierte Macintosh-Stühle. Den Vogel aber schießt die „Mexican Bar“ ab, die eine Arbeitsgruppe der DEFA-Studios eingerichtet hat, mit gruftigem Pappmaché im Inka-Stil, einer künstliche Palme und kleinen Wimpeln in den mexikanischen Nationalfarben, die für Corona-Bier werben.

Aber das Schöneberger Disneyland wird noch schöner. Jacques Ihle, seit 1984 Chef einer saisonal bis 50 Köpfe starken Metropol-Belegschaft, plant, die beiden Theken im „Loft“, in der Spielstätte der Schmitz & Schulz GbR, als Salsa- Bars einzurichten. Der gepflegte Fortyandsomething mit mobilem Telefon, Frau und Kind hat klare Ziele: Er will ein Publikum, das nicht ausfällig wird, sondern die Getränkepreise zahlt. Dezidiert nennt er, wer draußen bleiben muß: „Leute, die nicht zur Veranstaltung passen“, die zu nachlässig gekleidet oder alkoholisiert Einlaß begehren, Skins oder Punks, kurz alle, die ihm „radikal“ oder „gewaltfördernd“ erscheinen. Seit zum Konzert von Grandmaster Flash eine Hundertschaft anrückte, hat er auch HipHop von seiner Veranstaltungsliste gestrichen. Den Vorwurf, der im November durch die Presse ging, weist Ihle dagegen entschieden zurück: Ausländern stehe, wie jedem Deutschen, für 10 Mark das Metropol offen, gerade weil die Diskothek ausdrücklich mit Multikultur für sich werbe. Manchmal gerät Ihle jedoch zwischen die Argument-Fronten. Kürzlich sagte er das Konzert einer bekannten Band ab, weil die Texte der farbigen Musiker als schwulenfeindlich gelten.

Ihle, der „früher links wählte, jetzt nicht mehr“, möchte das Metropol als liberalen Ort verstanden wissen. Alle zwei bis drei Wochen findet der Gay-Tea-Dance statt, und an einem Abend im Januar wird „Californian Dream-Men“, der Männerstrip für weibliche Augen und derzeitige Hit des Hauses, allein Männern zugänglich gemacht werden. Szene darf dennoch niemand erwarten. Ihle sieht die Vergnügungstätte als Kompromiß zwischen Kudamm-Kitsch und Kellerkultur in Mitte, dessen enorme Betriebskosten von einem verhältnismäßig günstigen Mietvertrag aus dem Jahr 1976 relativiert werden. In der Praxis bedeutet dieser Kompromiß Musik, die mit der Einrichtung der Diskothek harmoniert. Von den Computern im Cockpit der hauseigenen DJs, das eher der Kommandobrücke eines Flughafens als einem Mischpult gleicht, kommen in der frühen Nacht Melodien zum Wiedererkennen, Schnulzen aus den Charts und Re-Mixes alter New-Wave- Hits. Zu fortgeschrittener Stunde erklingen fertige Techno-Rhythmen. Ihrer Spitzen und Tiefen beraubt, entlocken sie den Tanzenden allenfalls einen kurzen Juchzer, vor allem, wenn ein Hauch Trockeneisnebel die Sicht versperrt. Kaum ein Arm reckt sich in die Luft, keine Trillerpfeife schrillt. Nur ein einsames Leuchtstäbchen irrt die Treppe hinunter.

Auf der Galerie versammeln sich jedoch die Technik-Fans. Denn nach eins werden „special lighteffects mit mikroprozessorgesteuerter Lichtanlage aus den USA“, ein sechsmotoriges, bewegliches Aluminiumgerüst für Scheinwerfer, 24 Farbmonitore, ein HDTV-Großbildprojektor, 16 Wechsel- und schließlich zwei Laserprojektoren aktiviert. Dann tanzen Linien und Punkte, dreidimensionale Ellipsen und Pyramiden über die Köpfe, und rote und grüne Strahlen, die in die Gesichtshaut pieksen, harken einem übergroßen Rechen gleich die hopsende Menge zusammen. Manchmal illustriert das Licht auch einen Song: Liebe ist ein Paar auf einem Berg. Dunkel ist's dann ringsum, und die weißbeblusten Frauen schmiegen sich noch enger an ihre stummen Begleiter. Claudia Wahjudi