Abrißbirne bleibt in Wartestellung

■ Hauptstadtplanung: Treuhand-, ZK- und Staatsratsgebäude sollen auf Druck Berlins vielleicht doch stehenbleiben

Berlin. Sichtlich zufrieden zeigte sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen gestern, als er aus Bonn zurückkam. Im letzten Augenblick hatte das Bundeskabinett am Donnerstag abend seinen eigenen Beschluß zur Hauptstadtplanung geändert. Vorausgegangen waren zum Teil heftige Wortwechsel Diepgens mit einigen Mitgliedern der Regierungsrunde. In die Kabinettsvorlage, die zuvor apodiktisch von einem Neubau von vier Bundesministerien sprach, wurde auf Diepgens Protest hin ein Passus aufgenommen, der festlegt, „daß für den Bereich des ehemaligen Hauses der Parlamentarier unter Einschluß der angrenzenden Liegenschaft des Staatsratsgebäudes und des Marx- Engels-Platzes/Palast der Republik ein städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt werden soll, in dessen Rahmen über den Fortbestand der bestehenden Gebäude unter wirtschaftlichen wie städtebaulichen Gesichtspunkten zu befinden sein wird“.

Damit sind nach Berliner Lesart das Staatsrats- und das ZK-Gebäude erst mal der Abrißbirne entronnen. Unter städtebaulichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten versteht Diepgen nicht nur den Erhalt der Gebäude, sondern auch deren Mischnutzung. Einen Dissens mit Bundesbauministerin Schwaetzer sieht man auf Berliner Seite allerdings noch im weiteren Verfahren. Die zuständigen Senatsmitglieder hatten sich bereits darauf verständigt, lediglich für das Areal um das ZK-Gebäude einen städtebaulichen Wettbewerb auszuloben und es ansonsten bei Bauwettbewerben zu belassen. Sie befürchten bei den umfassenderen Bonner Planungsvorhaben erhebliche Zeitverzögerungen, da zugleich über das weitere Schicksal des Palastes der Republik befunden werden müßte – ein Punkt, den Berlin gerne in eigener Regie entscheiden würde.

Im Januar wird eine gemeinsame Arbeitsgruppe tagen, die sich mit den Vorschlägen des Bundes und des Senats auseinandersetzen soll. Am 17. März 1993 wird der gemeinsame Ausschuß zu seiner nächsten Sitzung zusammenkommen, um vor Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbes mögliche Dissenspunkte auszuräumen. Diepgen plädierte gestern dafür, diese Sitzung vorzuziehen.

Ein ähnliches Verfahren wie für die Spreeinsel legte die Bundesregierung auch für das Treuhand- Gebäude fest, das ursprünglich gleichfalls einem Neubau geopfert werden sollte. Sollte sich dort ein Wettbewerb als nicht zweckmäßig erweisen, „wird neben Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit auch der Denkmalschutz in die endgültige Entscheidung einzubeziehen sein“.

Mit der Revision ihrer Entscheidung hat die Bundesregierung Berlin lediglich ein Mitspracherecht eingeräumt, ein Recht, das ihm laut Hauptstadtvertrag eh zustehen würde. Eine dauerhafte Sicherung der Gebäude wurde damit noch nicht festgelegt. Darüber wird in den kommenden Wochen verhandelt. Diepgen hat bereits signalisiert, daß er beim Staatsratsgebäude bereit wäre, den Bonner Abrißwünschen nachzugeben.

Standorte für Ministerien

Strittig zwischen Bonn und Berlin:

–Bundespresseamt: falls nicht am Spreebogen, möglicherweise Neubau auf Grundstück des Republikpalasts

–Auswärtiges Amt: alte Reichsbank (ZK-Gebäude)

–Innenministerium: ehem. Staatsratsgebäude

–Wirtschaft: Gebäude der Treuhandanstalt

Unstrittige Ministerien:

–Bundeskanzleramt: Neubau Spreebogen

–Finanzen: Neubau zwischen Mauer-, Leipziger, Zimmer- und Grothewohlstraße

–Justiz: Schwerinsches Palais

–Arbeit/Soziales: ehem. Innenministerium

–Familie: ehem. Medienministerium

–Frauen/Jugend: ehem. Verkehrsministerium

–Verkehr: ehem. Regierungskrankenhaus

–Bau: ehem. Ministerium für Geologie

Alle anderen Ministerien erhalten Nebendienststellen. dr/kd

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