■ Herr Thömmes sprach mit Bernd Kreis, 29, Europas bester Sommelier 1992
: „Katzenpisse riecht leicht nach Efeu“

Herr Thömmes: Herr Kreis, haben Sie heute vormittag schon einen zur Brust genommen?

Bernd Kreis: Das gerade nicht, aber ich hab schon Wein probiert. Ein recht guter Bordeaux war dabei, und jetzt nach dem Essen kommt – wie immer – eine Stunde Theorie für mich: Bücher lesen.

Klingt ja sehr unromantisch. Wenn Sie auf der Suche nach Neuem sind: Trinken Sie sich dann nicht durch schöne Keller?

Doch, auch das passiert. Ich bin Radfan, und wenn ich beim Rumkurven einen Winzer sehe, mach ich schon mal Halt. Das ist die einzige Chance auf eine überraschende Entdeckung.

Woher wissen Sie: Hier könnte es etwas geben?

Ich schau mir Haus und Hof an, bei ungepflegten fahre ich gleich weiter: Außen hui und innen pfui, das gibt's nämlich bei Weinbauern nicht.

Sagen sie mal: Wieviele Weine probieren Sie pro Jahr?

Oh Gott, da darf ich gar nicht dran denken. Auf etwa 2.000 verschiedene Weine komme ich schon, insgesamt sind es vielleicht 3.500.

Und was sagt Ihre Leber dazu?

Die sagt: Gefahr im Verzuge! Man muß aufpassen, wirklich aufpassen! Im Restaurant kann ich ja nicht vor mich hinspucken, aber bei Proben spucke ich natürlich aus. Privat trinke ich ja auch gerne, aber mit Genuß und Besinnung...

...Kommen Sie. Sie trinken schon mal einen über den Durst.

Ach was! Betrunken bin ich einmal im Jahr – vielleicht.

Nun sind Sie dieses Jahr zu Deutschlands und Europas bestem Sommelier gekürt worden. Wie wird man das?

Das ist eine dröge Sache. Es gibt einen Vorentscheid: Weinrecht, Weinbereitung, Biographie der Anbaugebiete, Önologie...

...Dröge? Furztrocken hört sich das an.

Stimmt, und es ist auch noch anstrengend. Im Finale geht's mehr um Praxis: Rotwein dekantieren, Champagner fachgerecht servieren...

...Ich mach'ihn auf, es knallt – fertig.

Falsch, völlig falsch! Es darf nicht knallen! Dabei geht zuviel Kohlensäure verloren. Und schließlich wird probiert: diverse Weine und Spirituosen müssen identifiziert und besprochen werden.

Gehen Sie vor einem großen Wettbewerb mit ein paar gut sortierten Kisten ins Trainingslager?

So ungefähr. Man arbeitet verstärkt dort, wo man Schwächen hat. Obwohl, was heißt Schwächen, ich müßte besser sagen: weniger Degustationserfahrung. Bei mir sind das Australien, Neuseeland, Südamerika – eher Exoten unter den Weinen.

Mozart hatte das absolute Gehör, haben Sie den absoluten Geschmack?

Sicher nicht. Schallschwingungen können Sie messen und in Zahlen ausdrücken, Geschmack ist je nach Tag und Seelenlage verschieden. Das ist ja das Schöne. Ich hatte doch als Junger auch meine Whisky-Cola-Phase, es fing alles ganz harmlos an: Du interessierst dich etwas für Wein, gehst ziemlich unbeleckt zu einem Juniorenwettbewerb, schneidest schlecht ab, das reizt den Ehrgeiz – und dann hab ich mich zum Chefsommelier hochgetrunken, in den kleinen Kreis der Wein-Elite. Es gibt ja nur knapp 20 ernsthafte, wirklich gute Sommeliers in Deutschland.

Eine teure Karriere.

Ganz klar, das kostet, das heißt ja auch: Viel Essen, viel Reisen.

Und das sind Sie heute: ein Mundschenk.

So simpel ist das nicht, das heißt vor allem: Viel Arbeit und Bürokratie. Vernünftig einkaufen, probieren, kalkulieren, die Lagerung ist wichtig, die Kellerführung: Da liegt ja eine Menge Geld, bei uns sind das etwa 10.000 Flaschen. Was Ihnen auffällt, ist nur meine Arbeit im Restaurant: beraten, kosten, servieren...

Ein großer Zipzap. Öffnen, schnuppern, dekantieren...

Unnötige Rituale gibt's bei mir nicht. Wein ist was Natürliches, und so muß man ihn behandeln, nicht wie ein Mysterium. Die Temperatur muß stimmen und das Glas: Sie wollen ja optimalen Genuß für ihr Geld.

Und wenn ein Stümper bei Ihnen auftaucht, will süßen Weißwein – aber warm bitte! – zum Fisch?

Es liegt sicher ein Irrtum vor. Ich habe mich bestimmt verhört, nicht wahr? Und wenn nicht, dann kochen wir eben auf den Wein zu: Konzentriertere Soße, ein wenig vom gleichen Wein drin, modifizierte Beilagen, das geht schon.

Ansonsten gilt: Wer nach Geld ausschaut, bekommt eine teurere, bessere Flasche?

Aber nein! Ich schaue mir die Leute sehr genau an, rede mit ihnen, ich kann inzwischen sehr schnell einschätzen, welcher Wein paßt.

Was würden Sie mir denn bringen?

So, wie Sie reinkommen, keinen Wein über 90 Mark. Eventuell etwas Pfiffiges, Ungewöhnliches.

Und wenn ich einfach behaupte, der Wein hier schmeckt nach Kork: Zahl' ich nicht!

Wenn es nicht stimmt und es ist ein sehr teurer Wein, kann ich den nicht zurücknehmen...

...dann mache ich aber Theater, und wie!

Dann kriegen Sie das Echo zurück. Wir sind doch keine Diener oder devot. Wer laut wird, ist bei uns an der falschen Adresse.

Gibt es für Sie eine wirklich abscheuliche Kombination Essen/ Wein?

Manches paßt einfach nicht, Riesling und Schokolade etwa, aber richtig abscheulich finde ich Orangensaft zum Essen. Wem's schmeckt, mir kann's egal sein.

Um Wein zu beschreiben, greifen Fachleute zu drastischem Vokabular. Der Winzer Franz Keller behauptet: Müller-Thurgau riecht nach Katzenpisse. Wie, bitte, riecht denn die?

Au, das ist schwer zu sagen: Nicht nach menschlichem Urin, ein bißchen pflanzlich, ein leichter Efeugeruch. Katzenpisse ist ein Aroma, das nicht selten bei Wein vorkommt – nichts unbedingt negatives.

Klingt aber furchtbar! Auch von nassem Fuchs ist schon mal die Rede.

Sehr unangenehm! Das riecht ähnlich wie nasser Hund. Ich weiß das zufällig, weil mein Bruder Jäger ist. Das stinkt fürchterlich, ist aber wirklich ein Weinfehler.

Viele Beaujolais Primeurs haben erstaunliche Aromen – ganz starke Banane etwa.

Das ist ein typisches Jungweinaroma beim Roten. Es hat nichts, wie Sie vielleicht meinen, mit Chemie zu tun.

Gepanscht wird häufig.

Aber in welcher Kategorie! In welcher Preisklasse! Die Flasche Spätlese für drei Mark – das kann gar nicht sein! Vierzig Pfennig kostet allein die leere Flasche, dann Korken, Etikett, Kapsel, Verpackung. Wer sowas kauft, tut mir nicht leid, wenn er reinfällt. Kein Stück leid. Die Zeiten der alten Römer sind vorbei, als man den Wein mit Blei gesüßt hat. Daran sind die meisten wohlhabenden Römer gestorben: an langsamer Bleivergiftung.

Was kann ein Berufsschmecker wie Sie herausbekommen, wenn Sie nicht wissen, was im Glas ist: Das ist ein 89er Brackenheimer Trollinger Nordhang vom Lehmboden!?

Wenn ich einen Wein schon mal getrunken habe, erkenne ich ihn wieder: Wie ein Künstler eben Musik erkennt. Ansonsten kann man die Rebsorte rauskriegen, die wird nur da und dort angebaut, man kommt auf die Gegend, nähert sich anhand der Konstitution des Weins dem Jahrgang und so fort. Solche Tests sind spektakulär, sowas wollen sie im Fernsehen, aber es ist Quatsch.

Wein unterliegt modischen Trends wie Schuhe und...

...ja, ja! Mal gab's die Trockenhysterie, da traute sich niemand einen halbtrockenen Riesling zu bestellen. Die Chardonnay-Welle, die ist inzwischen abgeflacht. Im Moment werden total überteuerte Italiener mit gigantischem PR- Aufwand auf den Markt geworfen. Und die Leute sagen: Mir schmeckt's.

Bei so viel Unübersichtlichkeit, wo sollen taz-Leser nach Wein suchen?

Puh!

Pu? Der Bär?

Wer?

Herr Kreis, vielen Dank für Ihren Tip.

Bernd Kreis arbeitet im Stuttgarter Restaurant Wielandshöhe, dessen Chef Vincent Klink wiederum jährlich die „Rübe“ herausgibt (Haffmanns, 15 Mark; derzeit: Nummer 4), ein lesenswertes Büchlein „für kulinarische Literatur“ – mit der weltschönsten Gelee-Kochanleitung (von Bernd Fritz).