■ Ökolumne
: Sauberes Massaker Von Gunnar Heinsohn

1. Nicht ein schon vom Hunger geschwächter, sondern der eher überdurchschnittlich aktive und auch ambitionierte Drittwelt-Bürger erreicht gewöhnlich als Wirtschaftsflüchtling die Erste Welt (den Westen und bald wohl eine Festung Nordhalbkugel). Von den heute mehr als zwei Milliarden Armen der Erde, von denen die Hälfte bereits unterernährt ist, gilt deshalb wohl nur jeder Vierte als migrationsfähig. Bis zum Jahre 2000 sollen weitere 400 Millionen „Wanderer“ hinzukommen. Das sind dann bald dreimal so viel wie die 320 Millionen, die heute in der Ersten Welt einen Arbeitsplatz haben. Es werden fast zwanzigmal soviele Menschen wie die 40 Millionen Europäer sein, die zwischen 1500 und 1900 Amerika, Australien und Nordasien besiedelten sowie Afrika und den größten Teil der übrigen Welt unterwarfen.

2. Ein typischer Wirtschaftsflüchtling will sein Heimatland verlassen, weil für ihn gerade noch akzeptable Positionen dort bereits besetzt und zudem nicht weiter vermehrbar sind. Wollte er zu Hause vorankommen, müßte er für Perspektiven, die seinen Ansprüchen entsprechen, den politischen Kampf aufnehmen. Da ein solcher Schritt mit Risiken verbunden ist und sein Erfolg unsicher bleibt, wird er versuchen, vorerst andernorts seine Lebenshoffnungen zu verwirklichen.

3. Bei Auswanderung in den Westen kann ein Wirtschaftsflüchtling Arbeiten annehmen, die daheim verachtet werden, weil sie oft besser bezahlt werden als höhere Positionen dort – und er sich darüber hinaus der Illusion hingeben mag, lediglich in einem Übergangsstadium zu leben. Er gleicht darin dem Studenten, der während der Ferien in Fabriken Geld verdient, keineswegs jedoch Fabrikarbeiter werden will.

4. Sind schließlich auch im Westen die Positionen besetzt, geraten die Wirtschaftsflüchtlinge dort in die politischen Auseinandersetzungen, denen sie zu Hause gerade entkommen wollten. Wo auf ihre Hautfarbe oder Religion gezielt wird, erleiden sie im Gastland Diskriminierungen, die sie zu politisch Verfolgten geadelt hätten, wären sie ihnen zu Hause widerfahren.

5. Begrenzt der Westen die Aufnahme von Ausländern strikt auf politisch Verfolgte, dann müssen die Wirtschaftsflüchtlinge zurückkehren. Daraufhin dürften viele in der desperaten Heimat lieber den Kampf um akzeptable Positionen aufnehmen, als in erniedrigender Armut zu verkommen. Dafür schließen sie sich gewöhnlich einer Bewegung an, die im Namen irgendeiner anständigen oder auch gottgefälligen Idee die heimischen Eliten angreift.

6. Diese etablierten Kräfte wiederum setzen sich zur Wehr und gehen schließlich auch mit Gewalt gegen ihre politischen oder religiösen Widersacher vor. In diesem Prozeß verwandeln sich die potentiellen Wirtschaftsflüchtlinge in einwandfrei politisch Verfolgte, denen im Westen nunmehr das Recht auf politisches Asyl zusteht. Was man als Wirtschaftsflüchtling ausgesondert hatte, kehrt nun als „echter“ Asylbewerber zurück. Daraufhin wird im Westen der Kampf gegen jegliches individuelles Recht auf politisches Asyl noch heftiger entbrennen. Einmal mehr werden die Verteidiger des alten jüdischen Gesetzes bedroht sein, das da lautet: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ (3. Mose 19; 33-34)

7. Gleichwohl verringert die Aussperrung von Wirtschaftsflüchtlingen am Ende doch die Zahl möglicher Asylbewerber, da die Kämpfe der Heimgekehrten mit ihren bereits bestallten Landsleuten gewöhnlich in Massaker übergehen. Dieses sich gegenseitige Wegtöten überzähliger junger Männer (zunehmend aber auch Frauen) dezimiert die streitenden Parteien, bis die Positionen für die Überlebenden auszureichen scheinen und vorübergehend Frieden geschlossen werden kann – nach „Bürgerkriegen“ à la El Salvador mit 70.000 Toten bei fünf Millionen oder Mosambik mit 600.000 Toten bei 16 Millionen Einwohnern.

8. Die Minimallösung des Westens für das Problem läuft bestenfalls also nach dem klassischen Muster eines „Kreislaufs der Eliten“ (Vilfredo Pareto) innerhalb der Dritten Welt ab. Solange die Erste Welt Erfolg hat, wird sie wahrscheinlich sogar feierlich versprechen, nicht selbst zu eliminieren. Zu Hause wird gleichzeitig ein moralisches Management an Einfluß gewinnen, das Strategien der Desensibilisierung fürs Zuschauen beim Megasterben und -töten umzusetzen hat.