Oh du Wunder!

■ Wie es plötzlich sehr geweihnachtet hat, als „Blaumeiers“ am Samstag krippenspielten

Jesses, da kommt die heilige Familie! Das liebe Jesulein hängt im Leiterwagen rum und wirft mit Fläschchen, Maria sieht aus wie der Gaulschreck im Rosenhag, und Josef geht schon mal ganz am Stock. Kommen da also als Jammerlappen den Ostertorsteinweg raufgezockelt, daß es kein Erbarmen hat ums Zwerchfell. Einzwei Heiligenscheine flattern irritiert zwischen Himmel und Erde, und gegenüber vor Betten Wührmann zappeln vier Mützenmänner unter ihrem Flugaufsatz, die sehen aus, als könnten sie nicht bis drei zählen und sind die lieben Englein.

Ehrlich gesagt, ich hab' mir Engelein immer anders vorgestellt, irgendwie seliger oder so, auch fliegend. Aber wenn Blaumeiers und ihre Maskengruppe Krippe spielen, werden aus heiligen Geistern Wackelkandidaten. Die ringen derart rührend um Haltung und Bodenhaftung, daß uns das Herz abhebt. Und wie auf einmal alle lachen, sieht es aus, als hätten wir nur darauf gewartet.

Gleich hinter der heiligen Familie und dem Engelsgesocks wuseln noch ganz andere Gestalten, etwa Riesenweihnachtsgänse, oder glubschende Gockel, oder der Museumswärter K., der die Passanten aufs Freundlichste hin- und her- und umleitet und denen, die stehenbleiben, Karten zum Ziehen offeriert. Und unsereins, neugierig wie immer, stellt sich fix daneben zum Spionieren. Ein flotter junger Mann zieht flott eine Karte, worauf geschrieben steht: „Liebe Deinen Nächsten und kauf' ihm eine Kleinigkeit!“

Und, man kann's nicht anders sagen: die Nächste war ich. Sofort liebte er mich. Und war gleich entschlossen, mir eine Kleinigkeit zu kaufen.

Aber ach, ich. Ich war der Situation nicht gewachsen, befand mich in einer Art Rührungsnotstand und dachte, was macht man denn um Himmels willen in der Regel, wenn einen so plötzlich der Nächste liebt? Vor Schreck schützte ich Eiligkeit vor — und wirklich mußte ich auch zur Mahnwache und sollte mir doch vor Kummer und Weltenharm schwarz und nicht warm ums Herz sein! Da macht er kurzen Prozeß, umarmt mich formvollendet herzlich und winkt noch.

Ich muß Euch sagen: ich war lange fassungslos. Und suchte also Zuflucht bei Erklärungen: War's vielleicht mein Schutzengel; oder incognito ein Lebkuchenmann? Da fiel mir ein, es weihnachtet ja sehr, und wahrscheinlich ist eher, daß es sich um das Christkind gehandelt hat. Und darum hier meine Bitte: Meldest du dich mal bei mir? Ich hätte vielleicht doch ganz gerne noch eine Kleinigkeit. Claudia Kohlhase