: Kein Deutschland, das bis nach China reicht
■ Frauen-„Initiative für eine nicht-rassistische Verfassung“ will unter anderem das Abstammungs-Blutrecht im Grundgesetz ändern
Berlin. Nicht Artikel 16, sondern Artikel 116 und seine blutrechtliche Definition des Deutschtums ist das große Problem des Grundgesetzes. Das vertreten zumindest einige Berliner Frauen, die eine „Initiative für eine nicht- rassistische Verfassung“ ins Leben gerufen haben. In einem ausführlichen Positionspapier, das sie vor kurzem den Mitgliedern der Parlamentarischen Verfassungskommission nach Bonn geschickt haben, schlagen sie die Änderung des Artikels 116 und die Erweiterung der Artikel 3 und 16 vor. Aktueller Anlaß: Voraussichtlich im Januar will diese anläßlich der deutschen Vereinigung eingesetzte Kommission just über den Paragraphen 116 beraten. Die Fraueninitiative plant, mit möglichst vielen Unterschriften von UnterstützerInnen in Bonn mit ihrem Vorschlag vorstellig zu werden.
Im September, als die Asyldebatte der Bonner Biedermänner in den Händen der Brandstifter zu eskalieren begann, hatte sich die Initiative gegründet. Mina Agha von der „Autonomen Iranischen Frauenbewegung im Ausland e.V.“, Martina Emme und Carola Wildt vom Institut für Sozialpädagogik der Technischen Universität sowie Gotlinde Magiriba Lwanga vom multikulturellen Frauenprojekt „Nozizwe“ sahen darin eine neue „offensive politische Handlungsmöglichkeit“ gegen Rassismus und Frauendiskriminierung. „Ausgangspunkt unserer Initiative“, so heißt es in ihrem Papier, „ist der wachsende Unmut und die Wut über die Beschränktheit der gegenwärtigen Verfassungsdiskussion.“ Diese versuche „noch nicht einmal im Ansatz“, die neuen nationalen, europäischen und globalen Dimensionen politischer Verantwortung in den Blick zu nehmen. Im Gegenteil sei zu fragen, ob das Grundgesetz sozusagen strukturell Antisemitismus und Rassismus befördere.
Denn Artikel 116 Absatz 1 definiert die deutschen Staatsangehörigen: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Die bekannte Folge: Die Kinder und Kindeskinder der EmigrantInnen bleiben „Ausländer“, während die Nachkommen deutscher Großeltern in der weiten Ferne des Ostens als „Volksdeutsche“ mit entsprechenden Rechten gelten. „Durch erweiternde Zusätze des Bundes- Vertriebenen- und Flüchtlings- Gesetzes (BVFG) reicht dieses potentielle oder ,wahre‘ Volk geographisch weit bis nach China“, stellen die Frauen fest. Ihre Neufassung des 116: „Bürgerin oder Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als nicht-deutsche/r Staatsangehörige/r seit zwei Jahren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland genommen hat. BürgerInnen nicht- deutscher Staatsangehörigkeit haben ebenso wie ihre Kinder, die in der BRD geboren sind, jederzeit Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Die doppelte Staatsangehörigkeit wird gefördert.“
Weiterhin schlagen sie vor, das Asylrecht im Artikel 16 nicht zu beschränken, sondern definitorisch zu erweitern: Nicht nur politisch Verfolgte sollten Asyl genießen dürfen, sondern auch diejenigen, die aus Gründen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Nationalität, Sprache, ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierungen sowie wegen religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen bedroht würden. Auch der Artikel 3, der die Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz garantiert, erhält in ihrem Vorschlag eine vollständige Neufassung. Absatz 2 hieße dann in modernisierter, den Streit um Quoten aufgreifender Form: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, in allen gesellschaftlichen Bereichen Bedingungen zu schaffen und zu fördern, die Sexismus verhindern. Maßnahmen gegen Sexismus sind keine Bevorzugung aufgrund des Geschlechts.“ Ute Scheub
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