Mit blauem Auge davongekommen

■ Vor trauriger Kulisse endete in Berlin der Titelkampf um die Box-Europameisterschaft im Schwergewicht unentschieden

Berlin (taz) – Das Schöne an einem Unentschieden ist immer, das sich beide Kontrahenten anschließend als betrogene Sieger aufführen dürfen. „Ich dachte, daß ich ihn habe,“ sagte Axel Schulz, „das Ergebnis enttäuscht mich.“ Auch sein Gegner im Kampf um die Schwergewichts-Europameisterschaft, Henry Akinwande, empfand sich als Opfer. „Das Urteil ist ein Witz. Ich war mir sicher, gewonnen zu haben.“

Seine Meinung sollte den Richtern in der Berliner Eissporthalle keinesfalls verborgen bleiben. Mit dem Schlußgong warf sich der 27jährige Profi am Sonntag gegen ein Uhr morgens gekonnt in Meisterpose. Axel Schulz indes trottete hängenden Kopfes in Richtung Ecke, als ihm sein Trainer Manfred Wolke – als Coach von Henry Maske bereits bestens vertraut mit den Benimmregeln im Profigeschäft – entgegenschoß: „Nimm die Arme hoch, Axel, wie ein Sieger!“ Der Mann aus Frankfurt/Oder begriff. Er ignorierte das hühnereigroße Horn über seinem rechten Auge und lächelte ein beherztes Gewinnerlächeln.

Zum Titelgewinn hat es trotzdem nicht gereicht. Mit 2:1 Stimmen entschied sich die Jury für ein Unentschieden. Der Kampf um den vakanten Titel, den WM-Herausforderer Lennox Lewis niedergelegt hat, soll innerhalb von drei Monaten wiederholt werden. „Diesmal aber bei uns“, gab sich der Akinwande-Manager Mickey Duff äußerst erregt und bot Schulz-Promoter Sauerland noch im Ring 75.000 Pfund für einen Kampf an der Themse. Ein billiger Trick, um Akinwandes Börse zu erhöhen, findet der britische Boxexperte Harry Mullin. Denn in England ist der unsaubere Boxstil des Verteidigungskünstlers Akinwande gänzlich unpopulär und wenig geeignet, eine Halle zu füllen.

Doch ob sich in Deutschland noch einmal ein Veranstalter finden läßt, ist ungewiß. Jean Marcel Nartz, der Organisator des Titelkampfes in Berlin, singt ein Lied vom Leid eines Matchmakers: „Nie wieder in Berlin“, jammerte er angesichts des schleppenden Kartenvorverkaufs. Die letzte Hoffnung auf die Abendkasse blieb ebenfalls unerfüllt. Nur 2.000 Zuschauer – 1.000 aus Frankfurt/ Oder – wollten miterleben, wie Schulz als erster Deutscher seit 20 Jahren nach dem Europameisterschaftstitel greift.

Immerhin, so paßte die Stimmung in der Berliner Halle wenigstens zum Niveau des Titelkampfes: Durchwachsen. Akinwande, der großspurig ein K.o. seines Gegners in der fünften Runde angekündigt hatte, entwich entgegen der Abmachung bis Runde zwölf den überfallartigen Attacken von Schulz durch steten, blitzschnellen Rückzug. Schlau hielt sich der 2,04 große Brite dank seiner enormen Reichweite seinen Kontrahenten vom Leibe, der sich nur aus seiner Doppeldeckung wagte, um pitbullartig auf seinen Gegner loszugehen. Zu oft kam dabei der Amateur in Schulz durch: Statt weiterzuboxen, zog sich der 24jährige nach gelungenen Attacken zurück. „Das müssen wir üben, da ist er noch zu sehr Amateur“, urteilte Coach Wolke.

Der Kabarettist und Ringrichter Werner Schneyder war dagegen gerade von der amateurhaften Komponente hellauf begeistert: „Männer wie Henry Maske und Axel Schulz sind für das Profiboxen gar nicht hoch genug einzuschätzen“, sprach der Österreicher, „Sie bringen das saubere Boxen, das genaue Punkten, die brilliante Technik wieder in den Profiring zurück.“ Die Zuschauer allerdings treibt diese Form gezügelten Draufhauens aus den Hallen, behaupten die Liebhaber blutrünstiger Techniken.

Im Gegensatz zu den meisten Experten, die Henry Akinwande knapp vorne gesehen hatten, hält Schneyder das Unentschieden für durchaus vertretbar. „Es ist internationale Gepflogenhiet, daß der einheimische Boxer einen kleinen Bonus erhält.“ Der jedoch fiel nach Meinung von Maske entschieden zu gering aus. „Für mich war der Axel eindeutig vorne.“

So war es am Schluß nur der aufrechte Coach Manfred Wolke, der seine Genugtuung über den Ausgang einfach nicht verhehlen konnte. „Heute habe ich das erste mal seit über zwanzig Jahren gelobt“, sagte Wolke. Denn in Wahrheit kam der Kampf noch zu früh für seinen Schulz. „Ich hab ihn persönlichkeitsmäßig noch nicht ganz so weit“, erklärt Wolke. Und verspricht: „Bis zum Rückkampf sind wir soweit.“ Michaela Schießl