Neuwahlen, nicht nur Lichterketten

■ betr.: "Hamburger Lichterkette", taz vom 15.12.92 / "Triumph des guten Willens", taz vom 17.12.92 / "Der Antifaschismus mit der Kerze", taz vom 16.12.92 / "Olympiade des guten Willens", taz vom 15.12.92

Pete Akwai, Dreieich

betr.: Tagesthema „Hamburger Lichterkette“, taz vom 15.12.92

Eure Berichterstattung über die Hamburger Lichterkette empfinde ich als äußerst ärgerlich. Ohne in Hamburg dabeigewesen zu sein, bin ich der Meinung, daß jedes Zeichen gegen Fremdenangst oder Fremdenhaß seinen würdigen Platz erhalten sollte und nicht von Kollegen miesgemacht werden muß. Oder haben die taz-Redakteure das Rezept für ein tolerantes, friedliches, menschenwürdiges Leben in Deutschland 1992? Ich wäre dankbar, es zu erkennen.

Die Assoziation mit Nazi-Fackelzügen ist dazu völlig daneben; wenn mir etwas einfällt, dann ist es Leipzig 1989. [...] Monika Möller-Riester, freie

Journalistin, Berlin

betr.: „Triumph des guten Willens“ von Eike Geisel,

taz vom 17.12.92

Von Heuchelei versteht der Autor Eike Geisel ja einiges. Es ist noch gar nicht so lange her, als der gleiche Autor an der gleichen Stelle vehement für eine Fortführung der US-Militärinvasion in den Irak eintrat. Das heißt, er befürwortete den Massenmord an den arabischen Menschen.

Wo ist für Geisel eigentlich der Unterschied, ob Menschen aus dem Trikont durch Bomben und Napalm à la Golfkrieg liquidiert werden oder vom Mob in Rostock, Mannheim-Schönau, Hoyerswerda etc. verbrannt werden? Peter Nowak, Berlin

Gewohnt zerknirscht über die Schlechtigkeit der Welt, verurteilt der Kommentar die Demonstrationen, Lichterketten, Rockkonzerte und Schweigemärsche gegen Rassismus und Gewalt als unpolitisch und frömmelnde Gewissensberuhigung. Die bestens kultivierte linksradikale Resignation ist da zur zweiten Haut geworden, und ganz schell wird das Gütesiegel des „Unpolitischen“ verteilt.

Aber woher stammt denn das Recht zu definieren, was unpolitisch sei und wer „zu spät“ protestiere? Die politischen Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland haben sehr oft eigene Formen und Vorstellungen von Aktion und politischem Ausdruck entwickelt und gerade dadurch ihre Wirksamkeit gesteigert. Zum großen Verdruß von Berufsideologen und Parteizentralen wurden unabhängige Protestformen gewählt. Und immer gehörte dazu die Verbindung von Kultur und Politik, wie in der „Studentenbewegung“, der Ökologiebewegung, der Hausbesetzung.

Diese Menschen, die jetzt – endlich – auf die Straße gehen, haben noch nicht mehr als ihre emotionale Betroffenheit, vielleicht. Aber sie sind auch nicht geprägt von jenem linksradikalen Habitus des ewigen historischen Verlierens. Und vielleicht ist gerade das ihre Stärke und Voraussetzung dafür, einmal mehr zu tun, als andächtig Kerze an Kerze zu halten zur vorweihnachtlichen Lichterkette. Walter Zoubek,

Frankfurt am Main

„Der Antifaschismus mit der Kerze“ von Thomas Groß,

taz vom 16.12.92

[...] Was soll dieser Schwachsinn, Herr Groß? Es ist doch immer das gleiche: Wer versucht, etwas zu tun, sich zu engagieren (und sei es nur, indem er sich mit einer läppischen Kerze auf die Straße stellt), muß damit rechnen, von irgendwelchen sich auf die Überlegenheit des sicheren Beobachtungspostens zurückziehenden Pseudo-Intellektuellen attackiert zu werden.

Wie einfach es sich manche doch machen: Der Deutsche ist schlecht, er protestiert nicht gegen Gewalt und Rechtsradikalismus. Der Deutsche ist schlecht, er protestiert gegen Gewalt und Rechtsradikalismus, aber er weiß halt nicht, wie das geht. Gundolf Hartlieb,

Schwäbisch Hall

Groß weiß, was die kerzentragenden Demonstranten auf die Straße treibt: Beweiserbringung für eigene Reinheit, Autoritätssehnsucht, Selbstabsolution, Selbstfeiern. Und in einem tiefsinnig wirkenden psycho-logischen Analyseakt bringt der Autor die wahren Beweggründe der Demonstrationen ans Licht, um dann schwankend zwischen ungekonnter Ironie und linkem Stammtischernst die Oberflächlichkeit der Lichterträger zu verdammen. Und wieder einmal findet sich ein Krümel Wahrheit bei des Schreibers Psychokünsten.

Der Rest allerdings ist nichts weiter als unnötiges Lamentieren über Aktionen, die endlich auch gefühlsmäßig für viele den Zugang zu Protest und öffentlichem Auftreten eröffnen. Es sind nun mal nicht alle Gutwilligen sofort fähig und in der Lage, ausgewogen und engagiert das Auftreten des Phänomens Rechtsradikalismus in seiner augenblicklichen Form zu analysieren, mit politischem, psychosozialem, ökonomischem u.a. Sachverstand zu beurteilen und daraufhin gezielt zu handeln. Es bedarf zum Beispiel Lichterketten als identitätsstifende Gemeinschaftserlebnisse, um sich auszudrücken und aktiv zu werden. [...]

Wer sich mal was „Gutes“ zum Thema Rechtsradikalismus anlesen will, sei auf Beiträge von Wilhelm Heytmeier/Uni Bielefeld verwiesen. Gerhard Bleick,

Porta Westfalica

betr.: dito, und „Olympiade des guten Willens“, taz vom 15.12.92

Warum ruft die taz eigentlich mit zu derartigen Aktionen auf [in Berlin. d.Red.], wenn sie hinterher alles versucht, kein einziges gutes Haar daran zu lassen. [...]

Mich interessiert vor allem, woher Frau Roggenkamp eigentlich von den vielen Bockwurst- und Glühweinständen weiß, wo sie doch ihren Schnupfen pflegen mußte? Ich jedenfalls habe nicht einmal Bockwürste gerochen, es gab nämlich keine.

Und woher plötzlich dieses grundsätzliche Infragestellen vom Sinn einer Großdemonstration? Beim Golfkrieg sollte doch auch jeder gute Deutsche ein Bettlaken aus dem Fenster hängen, um seine moralische Entrüstung zu demonstrieren. Aber ist ja egal. Hauptsache, das linke Sektierertum raushängen, damit jeder weiß, wie unerreichbar elitär und politisch bewußt alle Roggenkamps und Geisels sind. Weiter so. Philipp Spannuth, Hamburg

[...] Wer eine Kerze hält, gerät damit in den Verdacht, daß er ein bißchen Brandstiftung ganz gut finde – so der abstruse Gedankengang dieser neunmalgewundenen Superhirne. Die Beschimpfung der sogenannten „schweigenden Mehrheit“ ist nicht nur lächerlich, sondern dumm. Machen wir uns doch nichts vor, die Lichterdemos in München und Hamburg, auch wenn sich Hunderttausende daran beteiligt haben, stehen wahrscheinlich nicht für die schweigende Mehrheit im Lande, sondern nur für eine starke Minderheit.

Wenn man sich in Bewegung setzt, wie schwerfällig und vorsichtig auch immer, darf man doch erst mal heilfroh sein. Die Schelte der taz-Kommentatoren demonstriert vor allem eins: das altvertraute Sekten-Denken. Dem war und ist jede Sache verdächtig, deren Sympathisanten-Gruppe die Zahl von 200 übersteigt. H.Kugler, Landwehrhagen

[...] Ihr solltet Euch darüber freuen, daß die größten Demonstrationen, die München und Hamburg je erlebt haben, für Demokratie und Menschenrechte eintraten. Statt dessen ziehen die meisten taz-Kommentatoren hämisch über die Teilnehmer her. Scheinbar dürfen nur Berliner Linksintellektuelle für Menschenrechte eintreten. Alle, die nicht zugleich den faulen Asylkompromiß der SPD anprangern, müssen zu Hause bleiben.

Udo Knapp hatte recht mit seiner Begründung für den Austritt aus den Grünen. Es ist auf die Dauer nervtötend, einer selbstgerechten Minderheit anzugehören, die von dem Zwang befallen ist, sich ständig moralisch über den Rest der Bevölkerung zu erheben. [...] Michael Miersch, Redakteur, „Natur“-Magazin, München