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■ ScheibengerichtThe Anonymous 4: An English Ladymass

Gregorianischer Gesang kommt nur gut mit Kutte. Auch noch mittelalterliche Mehrstimmigkeit klingt irgendwie echt immer erst im Kirchenschiff und aus Männerkehlen. Das mag zwar historisch so seine Richtigkeit haben. Und doch war es nicht recht, daß der Apostel Paulus und die Päpste dem Weibe das Singen so lange Zeit verboten haben. Gottlob hat trotzdem das eine oder andere freche Nönnlein den Maulkorb an den Nagel gehängt und laut und schön gesungen zum Lobe des Herrn.

Diese vier jungen Frauen aus New York singen Mönchsmusik aus dem 13. und 14. Jahrhundert exklusiv zu Ehren der Jungfrau Maria. Sie singen wie die Engel: schlank, flach und hell, mit jenem spezifischen Schmelz, den eigentlich nur Knaben kurz vor dem Stimmbruch haben, dennoch tadellos sauber. Und so direkt zu Herzen, daß die kühlen Meßgesänge ganz wunderlich neue Gesichter kriegen. Das „Flos regalis“ zum Beispiel könnte, trotz der kunstvollen Verzierungen, ein volkstümlicher Schlager gewesen sein. Sogar der Introitus oder das Kyrie (vielmehr: „Kyria christifera“) sind so gesungen hitparadenverdächtig. Und bekannte Marienlieder wie das altenglische Lied von der „hevene quene“ sind ja auch wirklich zu ihrer Zeit so etwas wie Popsongs gewesen.

Nichts in den Stimmen klingt nach Weihrauch und hohen, heiligen Hallen (nur die Technik ist für meinen Geschmack ein bißchen zu gotisch nachgesteuert). Erst recht hat der Stil der Anonymous 4 nichts mehr zu tun mit der leicht genervten Nöligkeit, die hierzulande immer noch von vielen Pflegern alter Musik für den authentischen Tonfall gehalten wird, mit dem mittelalterliche Vokalmusik vorzutragen sei (oder etwa, kurioserweise ganz ähnlich, in anderen Kreisen die Belange der Frauen). Das ist vielleicht das Beste an dieser CD: man hört keine einzige ideologische Nachtigall trapsen. Nur, wie gesagt, vier Engel hereinschweben, mit süßem Gesang. Das ideale Weihnachtspräsent also, für Musikfrauen wie auch -männer.Harmonia Mundi France 907080

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