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Mit der Ampel regiert die leere Kasse

Seit einem Jahr sitzt im Bundesland Bremen eine rot-blaugelb-grüne Regierung im Senat/ Unter der hohen Verschuldung hat Priorität, was der Wirtschaft dient  ■ Aus Bremen Klaus Wolschner

Wer regiert eigentlich Bremen, wo montagabends neun Männer als „Koalitionsausschuß“ zusammentreten, bevor am Dienstag der Senat aus SPD, Grünen und FDP einstimmig seine Beschlüsse faßt?

Die Zeit der Männer-Machtphantasien sei vorbei, hat die grüne Kultursenatorin Helga Trüpel erklärt. An der Macht ist das Finanzdiktat der leeren Kasse. Acht bis zehn Milliarden sollen bis zum Jahre 1997 aus Bund und Ländern kommen, damit das hochverschuldete Land Bremen nicht mehr 25 Prozent seines Etats an die Banken abliefern muß. Alle gesellschaftlichen Kräfte haben das unterschrieben, was der Senat nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts als „Sanierungsprogramm“ formulierte, von den Gewerkschaften bis zur Handelskammer. Seitdem gibt es in Bremen keine politische Alternative mehr zur Ampel. Seitdem ist aber auch das Argument in der bremischen Landespolitik durchschlagend, daß nur noch geht, was den Maßstab anderer Länder nicht übersteigt – es sei denn, es kostet nichts.

Wenn also die Fluggesellschaft Hapag-Lloyd schon morgens um 6 Uhr vom stadtnahen Flughafen ihre Urlaubs-Charter starten lassen will, damit die zweimal am Tag hin- und zurückkommen, dann reicht der Hinweis auf die Konkurrenzflughäfen, und schon vergessen alle drei Koalitionspartner, daß sie den Anwohnern des Flughafens Nachtruhe bis 6.30 Uhr versprochen hatten. Wenn ein Bürgermeister in der Umlandgemeinde umsiedlungswillige Firmen über seine grünen Wiesen führt, dann fordert der Wirtschaftssenator (Jäger, FDP) die „Erschließung“ einer grünen Marschlandschaft in der Nähe des Autobahnkreuzes, damit Bremen attraktiv bleibt. Wenn die FDP durchgängige Gymnasien durchsetzen will, ist das beste Argument, daß das bremische Stufenschulsystem, das durch seine Organisationsform die soziale Integration fördern will, für Führungskräfte unattraktiv sei. Immerhin, wenn die Kindergarten-Zuschüsse gekürzt werden, dann können SPD und Grüne gemeinsam erreichen, daß dies in Bremen nur die mittleren Einkommen treffen soll. Und wenn es den „Standortfaktor Bremen“ verbessert, dann gibt es aus dem Wirtschafts-Topf etwas für die Kultursenatorin. Bremen hat so ein paar Millionen, um sich der „Deutschen Kammerphilharmonie“ aus Frankfurt als neue Heimat anzubieten.

Aber für die Projekte des grünen Stadtentwicklungssenators, die Weser wieder stärker in das städtische Leben einzubeziehen, fehlt das große Geld. Und da die neuen, umwelttechnologisch ehrgeizigen Wirtschaftszweige aus dem Boden sprießen, sorgen sich auch die Grünen in der Ampel-Regierung vor allem um die Arbeitsplätze in den dreckigen alten Industrien: Daimler-Benz baut ab, auch im Bremen Zweigwerk, wo der 190er gebaut wird, ist über Weihnachten Zwangsurlaub angesagt. Ganz Bremen zittert um das Klöckner-Stahlwerk, das die weltweiten Stahl-Überkapazitäten vermehrt, seitdem der Vergleichsverwalter bestellt ist.

Die Ampel sei kein „gemeinsames Projekt“ der drei Parteien, klagt Ralf Fücks. Sie mobilisiert in der Tat die Stadt nicht, die grüne Basis hat sich mit ihrer Rolle als Regierungspartner höchstens abgefunden. Nicht nur der frühere Finanzsenator Grobecker, der sich am Kneipentresen mit anderen ausgeschiedenen Senatoren trifft und selbstironisch als „Exilsenat“ über die Farblosigkeit des Bürgermeisters Klaus Wedemeier herzieht, prognostiziert ein ums andere Mal das Ende der Bremer Ampel aus innerer Sklerose.

Aber dazu wäre erst mal eine Alternative vorzuweisen. Zynische SPD-Funktionäre argumentieren, die vor einem Jahr aus ihrer absoluten Mehrheit auf 38,8 Prozent abgesackte Partei könnte sich im Bündnis mit den völlig profillosen Konservativen besser profilieren als neben den ehrgeizigen Grünen und der FDP.

Das bleierne Spardiktat degradiert die Ampel zur Mittelmäßigkeit, wo in Zeiten der vollen Kassen wenigstens das eigene Klientel hätte bedient werden können. In Bonn verteidigen die Bremer SPD-Delegierten lautstark den Artikel 16 und das weitreichende Asylrecht, vor Ort in Bremen steckt die SPD-regierte Sozialbehörde die ankommenden Asylbewerber in die fensterlosen Weltkriegs-Bunker und verlangt von dem grünen Umweltsenator, daß er großflächig grüne Wiesen für Wohnungsbau ausweist. Daß die SPD konzeptionell am Ende ist, gleichzeitig die FDP als Wirtschaftspartei sich am besten profilieren kann, hat System: Denn „Umverteilen“ ist in den 90ern kein politisches Konzept mehr, es weckt mehr Hoffnungen, als befriedigt werden können. Und um Umweltpolitik aus leeren Kassen zu machen, dafür fehlt den Grünen bisher die zündende Idee.

So hat die Bremer Ampel allen Unkenrufen zum Trotz in ihrem ersten Jahr bewiesen, daß sich in dieser Parteienkonstellation ordentlich regieren läßt. Immerhin.

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