"Viele Kids sind noch gesprächsbereit"

■ Der Leiter der Judith-Auer-Jugendklubs, Ralph Martinius, zu den Vorwürfen, der Jugendtreff in Lichtenberg sei Treffpunkt von rechten Jugendlichen / "Wir müssen eine Gesprächsbasis finden"

Nach dem Tod des Ostberliner Hausbesetzers Silvio Meier, der bei einer Auseinandersetzung mit rechten Jugendlichen erstochen wurde, verübten vermutlich Anhänger der autonomen Szene am 24.11. einen Brandanschlag auf den Jugendklub „Judith Auer“ in Lichtenberg.

Er galt unter Linken seit längerem als „Stützpunkt von Neonazis“. Ralph Martinius (30), seit einem Jahr stellvertretender Leiter des Jugendklubs, äußert sich im taz-Interview zu den Vorwürfen.

taz: Wie sieht es jetzt, knapp einen Monat nach dem Anschlag, im Klub aus?

Ralph Martinius: Der Klub hat drei Gesellschaftsräume, zwei davon sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Dabei wurde der Hauptraum mit der Bar völlig demoliert. Viele Jugendliche, die zu unseren Gästen zählen, helfen uns nun beim Wiederaufbau.

In der autonomen Szene wird der Anschlag damit begründet, beim Judith-Auer-Klub habe es sich um einen Treffpunkt der neonazistischen Szene gehandelt.

Vorweg: Unser Klub ist in erster Linie für alle da. Von uns aus wird niemand ausgegrenzt. Es hat sich – leider – im vergangenen Jahr herauskristallisiert, daß immer mehr Skinheads – ich sage bewußt nicht Nazis – zu uns kamen. Anfang dieses Jahres blieb das sogenannte normale Publikum aus. Es war nicht zu verkennen, daß besonders am Freitag viele Rechtsradikale kamen – erkennbar an äußeren Symbolen, Stiefeln, Bomberjacken, eventuell auch Aufnähern.

Häufiger ist dort auch Arnulf- Winfried Priem, der Berliner Landesvorsitzende der mittlerweile verbotenen rechtsextremen Deutschen Alternative (DA) im Auer- Klub aufgetaucht.

Es kann von uns nicht verlangt werden, daß wir alle Leute aus der rechten Szene kennen. Wir haben Leute wie Priem erst in den letzten drei Monaten vor dem Anschlag bewußt durch Hinweise der Polizei kennengelernt. Nach dem Motto: „Ist der Herr Priem hier?“ Wir sahen uns nicht veranlaßt, ihn rauszuschmeißen. Ich habe ihm allerdings verboten, weiter sein Agitationsmaterial zu verteilen – worauf er auch Rücksicht nahm. Von da an wurde er auch kaum noch bei uns gesehen.

Sie haben lange Haare, unterscheiden sich also äußerlich von Ihren Besuchern. Wie wurde Ihnen gegenüber reagiert?

Ich bin natürlich öfters darauf angesprochen worden. Mir wurde die Schere angeboten und dergleichen mehr. Hintenherum habe ich dann erfahren, daß ich als „linke Socke“ betitelt wurde. Dazu habe ich mich auch bekannt. Wenn die Jugendlichen nämlich wissen, mit wem sie es zu tun haben, ist das die erste Grundlage, um als Linker mit einem Rechten ins Gespräch zu kommen – allerdings ohne ihn gleich bekehren zu wollen.

Wie weit geht denn Ihre Toleranz?

Auch mit rechten Jugendlichen kann man arbeiten – sicherlich nicht mit allen. Rund die Hälfte unserer Kids waren noch gesprächsbereit.

Fühlten Sie sich manchmal hilflos?

Ja, sicherlich. Wenn mir beispielsweise einer sagt: Auschwitz ist nicht wahr. Da hört allerdings meine Akzeptanz auf.

Beobachten Sie zunehmend rechte Einstellungen bei den Jugendlichen im Bezirk?

Wir konnten drei Phänomene feststellen: Viele der 18- und 23jährigen befinden sich in einem sozialen Umschwung, der sie aus dem rechten Spektrum herausführt. Wenn etwa ein rechtsradikaler Skinhead eine Frau kennenlernt, mit ihr ein Kind kriegt und nun eher an seine Familie, an seine Arbeit denkt. Schwieriger ist die Altersklasse der über 23jährigen, die ideologisch weitaus gefestigter und von uns kaum noch zu beeinflussen ist.

Bei unseren Jugendlichen unter 18 ist allerdings verstärkt der Hang zu rechtem Denken zu beobachten– das muß nicht unbedingt zum Rechtsradikalismus führen. Häufig ist viel Unwissenheit im Spiel. „Heil Hitler“ ist schnell gebrüllt – das heißt aber noch lange nicht, daß die Jugendlichen dahinterstehen. Leider wird zuwenig getan, um diese Jugendlichen aufzuklären. Im Gegensatz zu früher blocken viele Kinder ja auch aufklärerische Ansätze ab. Ein Beispiel: Bei einem anspruchsvollen Film, der zwischenmenschliche Beziehungen zeigt und auf Gewaltdarstellungen verzichtet, blieben nur drei Leute im Klub vor dem Fernseher sitzen.

Was halten Sie von einer repressiven Jugendpolitik, etwa einer Ausgrenzung rechter Anhänger?

Als Sozialarbeiter sind wir nicht dafür da, Strafgesetze durchzusetzen. Wir müssen heute andere Schwerpunkte bilden. Früher ging man mit seiner Schulklasse ins ehemalige KZ Sachsenhausen. Heute kommt ein 14jähriger kaum noch dorthin – es sei denn, er hat einen engagierten Lehrer.

Wir müssen zunächst einmal dafür sorgen, daß den Jugendlichen Räume zur Verfügung gestellt werden. Ich halte nichts davon, daß auf zehn Jugendliche ein Sozialarbeiter kommt. Es reicht, wenn wie im Falle des Judith-Auer-Klubs drei Mitarbeiter Alternativen anbieten. Das können ganz einfache Dinge sein, etwa nicht mehr auf der Straße herumzulungern oder gemeinsam essen zu gehen – statt Alkohol in sich hineinzuschütten. Rechtsorientierte Jugendliche können wir dabei nicht außen vor lassen. Es ist mit ihnen eine Gesprächsbasis zu finden – indem beispielweise ihre Arbeit beim Aufbau unseres Klubs anerkannt wird. Nicht, um ihn später gegen die Steine der anderen Seite zu verteidigen, sondern um darauf zu achten, daß die eigenen Leute beim nächsten Mal nicht einfach ein Bier gegen die Wand schmeißen.

Was ist für die Zukunft im Judith-Auer-Klub geplant?

Wir wollen uns vorwiegend – ohne andere zu vernachlässigen– auf Veranstaltungen für die Kids zwischen 14 und 18 konzentrieren. Schließlich sind das später unsere älteren Gäste – wir würden gerne vermeiden, daß in Zukunft der rechte Mob wieder unseren Klub mißbraucht. Interview: Severin Weiland