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Absolut eigenhändig

Picasso: Eine Ausstellung über „Die Zeit nach Guernica“ in Berlin. Ungewöhnliche Thesen zu den Grenzen politischer Malerei, zu Picassos Themen und Obsessionen, Verlusten und Profiten hörte Ulf Erdmann Ziegler  ■ Von Svetlana Alpers

„Picasso: Die Zeit nach Guernica 1937–1973“ ist eine Ausstellung, die Werner Spies und Heiner Bastian für die Neue Nationalgalerie in Berlin eingerichtet haben. Seit „Guernica“, sagen die Kuratoren, hätten Picassos Bilder einen „weniger in der Kunstgeschichte als in bedrohter Existenz wurzelnden Ausgangspunkt“ – das Spätwerk in einer gezielt politischen Sicht. So zeigt der Beginn der Ausstellung das großformatige „Leichenhaus“ (geliehen aus dem MoMA in New York), Studien zu „Guernica“ und das „Massaker in Korea“ vom Januar 1951 (aus dem Musée Picasso in Paris) sowie mehrere „Weinende Frauen“. Um so krasser wirken im Vergleich die erotischen und explizit sexuellen Motive seit den sechziger Jahren. Svetlana Alpers, eine der führenden Gelehrten in Sachen „westliche“ Malerei, benennt die kritischen Punkte des nun sichtbar gewordenen Werks und macht keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für die Schau: Es wäre „jeder Vorwand angebracht, um eine solche Gruppe von Bildern hinzuhängen“.

taz: Die Ausstellung in Berlin stellt den „politischen Aspekt“ des Werks Picassos in den Vordergrund. Es wird Bezug genommen auf das monumentale „Guernica“, das in Berlin nicht gezeigt werden kann. Das deutlichste Bild ist „Massaker in Korea“, ein längliches Querformat, das zeigt, wie MG-bewaffnete Ritter eine Gruppe von Opfern, Frauen und Kinder, exekutieren; das Ganze vor einer kriegsverheerten Landschaft. Wie läßt sich das Qualitätsgefälle zwischen dem Korea- Bild und „Guernica“ beschreiben?

Svetlana Alpers: Schon das Vokabular des Korea-Bildes ist nicht überzeugend.

19. Jahrhundert, nicht?

Ja, linkisch. Bei „Guernica“ entstammen etliche Bildelemente aus solchen Bildern, die sich mit der persönlichen Krise mit Marie-Thérèse Walter befassen. Es geht um das Ende einer Liebesaffäre. Die menschliche Krise in „Guernica“ hat mit der Verstümmelung menschlicher Gefühle zu tun.

Handelt es sich um die Projektion einer privaten Regung auf eine öffentliche Sphäre?

Nein! Diese beiden Seiten sind voneinander gar nicht zu lösen. Es gibt alle möglichen Aspekte menschlicher Freuden und Probleme, wenn man den Zustand menschlichen Daseins betrachtet, woran Picasso bei diesem Thema arbeitet. Der Künstler und sein Modell, der Mann und die Frau, die miteinander schlafen...

Und davon hat sich das Korea- Bild zu weit entfernt?

Es baut nicht auf seine Stärken. Die Studien zur Ikonographie haben uns dazu gebracht, herausfinden zu wollen, was das besondere Sujet eines Werks sei; die meisten Bilder aber sind nicht wegen ihres besonderen Sujets interessant, sondern wegen der besonderen Art, in der sie gemalt sind.

Picasso ist ein Ateliermaler. Was ich an ihm so bewegend finde, ist, daß er das malt, was dort ist, wo er sich befindet. Er malt nicht Frauen auf Wiesen, sondern im Atelier sitzend. Es ist nicht fantasy, es ist wirklich! Was außerdem bei ihm interessant ist, ist, daß er – im Gegensatz zu Matisse – keine Modelle gehabt hat. Von wegen: Legt euch da mal alle hin... Es ist ganz und gar die Vorstellung einer Ateliersituation, es ist nicht die Phantasie der Schäferszene. So ist Picasso begrenzt, begrenzt im Sinne der Wände des Ateliers. Er fährt nicht zum Strand raus, so daß man sich sagt: „Oh, heute ist er am Strand gewesen.“

Er hortet Bilder, er füllt damit Häuser, dann zieht er um und füllt das nächste Haus. Er lebt in einem Ambiente, das aus Kunst besteht.

Ich wollte Sie fragen, ob Picasso irgendein Thema ausgelassen hat...?

Aber sicher!

Aber in Ihrer Sicht hat er offenbar alles ausgelassen, was im Atelier nicht vorkommt.

Das können Sie in der Ausstellung sehen: Das Ungewöhnliche ist ja, wie oft er zum selben Thema zurückkehren kann und ihm eine neue Sichtweise abgewinnt, wieder und wieder. Es gibt in diesem Jahr eine Ausstellung mit seinen Stilleben, die erst in Amerika war und jetzt im Picasso-Museum in Paris zu sehen ist. Niemand hatte jemals daran gedacht, diese Werkgruppe zu isolieren und sich anzusehen, was er in dem Genre getan hat. In gewisser Weise wurde diese Ateliersituation der westlichen Malerei in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts begründet. Dieses Genre ist begrenzt; ich meine, nicht menschlich begrenzt, sondern in der Zahl der Themen.

Was waren die Themen, die Picasso gütigerweise anderen überlassen hat?

Picasso hat selbst gesagt, daß es sehr schwierig ist, ein neues Thema zu erfinden. Weil er sich Malerei als Malerei denkt. Er denkt nicht: Was habe ich heute wohl vor? Sondern: Was kann ich tun – was kann ich tun, so daß es ergiebig ist?

John Berger hat behauptet, daß Picasso sein Thema verloren hat.

„The Success and Failure of Picasso“ – ein tolles Buch, aber es ist vor langer Zeit geschrieben worden...

Es ist 1965 erschienen.

Das war der Eindruck in den sechziger Jahren, daß man sich mit den späteren Gemälden wohl kaum abgeben werde. Ich habe inzwischen drei Ausstellungen gesehen: Die erste war von einem Europäer gemacht, der nicht mehr lebt, Gert Schiff. Er hat den späten Picasso gezeigt. Als ich diese Ausstellung sah, wie sie sich im Guggenheim-Museum hinunterwand, dachte ich: Das grafische Werk ist okay, aber malen kann er nicht mehr. Die nächste Ausstellung, die ich sah, war in der Tate Gallery in London, vor vier oder fünf Jahren. Da wurde das Bewußtsein vorzüglich geschärft für seine erotische Obsession. Und zur gleichen Zeit gab es in London eine Ausstellung mit dem frühen Cézanne: der verstörte, dunkle – der erotische Cézanne; er kann mit dem Thema nicht umgehen, er gibt das auf. Er findet einen Ausweg, damit er ruhiger werden kann. Bei Picasso diese erotische Obsession, zehn Sachen am Tag.

Und dieses Mal dachte ich bei Picasso: wundervolle Malerei. Es war das erste Mal, daß ich das so sehr gefühlt habe.

Meinen Sie insbesondere die erotischen Motive, den letzten Saal?

Das Ganze! Gemälde für Gemälde. Die enttäuschenden sind die von Jacqueline [Roque], das ist immer so gewesen; es ist faszinierend, er kann sie einfach nicht malen. Vielleicht will sie hübsch aussehen, und er sorgt nicht dafür, daß sie nicht hübsch aussieht. Alles andere... Natürlich ist ausgewählt worden, wir wissen nicht, was es noch gibt.

Was denken Sie über einen Maler, der seine Kraft ganz aus Frauen bezieht?

Früher hatte ich das Gefühl – und manchen Feministinnen mag es noch so gehen –, ihm richtig böse zu sein. Es scheint, als ob die einzige, die davongekommen ist, Françoise Gilot war. Sie hat danach ein Leben führen können, während sich Jacqueline umgebracht hat, wie man weiß.

Es geht hier um unausgesprochene Verträge. Diese Frauen mußten nicht bei Picasso einziehen. Es ist herabsetzend, es läßt sie schwächer aussehen, als sie sind, wenn man sie zu einer Gruppe von Opfern macht.

Ich hatte nicht gesagt, daß sie Opfer sind, aber sie waren offenbar Objekt jener Anschauung, auf die er angewiesen war.

Man sieht das bei Picasso – und überhaupt in der westlichen Tradition von Bildern, in der Picasso ein Ultraspätankömmling ist –, daß die Beziehung Maler–Modell nicht darin besteht, daß männliche Künstler Frauen benutzen oder sie anschauen. Was tatsächlich in Effekt tritt, ist eine Identifikation mit dem Modell.

Es ist doch so: Wenn du malst, wirst du angesehen. Du stellt dich als Maler aus. Im Kern der besten Bilder findet man die Faszination des Künstlers durch sein Modell: sowohl Begehren wie Identifikation. Freudianisch müßte man sagen: Begehren und Identifikation gehen nicht zusammen. Malerei ist ein Indiz dafür, daß das nicht stimmt. Das Interesse am Akt, am weiblichen Modell, hat teilweise mit dem Medium zu tun.

Wie?

Es beginnt mit der Ölmalerei. Picasso ist natürlich kein „fleischiger“ Maler, wenn Sie an Rubens denken.

Gar nicht, er ist süchtig nach den Körperöffnungen, in jeder Form...

Absolut.

... das macht den grafischen Anteil in seiner Malerei aus, und das wiederum macht seine Bilder so aggressiv.

Sie könnten aber auch sagen, daß das ehrlich ist, und offen. Es gibt natürlich Aggression. In diesem Bild [das Ausstellungsplakat mit dem Motiv „Der Raub der Sabinerinnen“ hängt in Alpers' Berliner Gästewohnung über dem Sofa] sind es die Soldaten, die gegeneinander aggressiv sind. Deshalb kann er einem eine Vorstellung von Krieg geben, selbst wenn seine Malerei nicht davon handelt. Er versteht offenbar etwas von menschlicher Aggression und dem Unauflösbaren, das sich daraus ergibt. Aber die Beziehungen zwischen Männern und Frauen bei Picasso sind damit nicht beschrieben. Ich denke nicht, daß es als solches aggressiv ist, die Schrecken des Körpers vorzuzeigen.

Ist für Picasso das Gesicht einer Frau besser geeignet zu zeigen, wie ein Körper auseinanderfällt, sich in Schmerz auflöst?

Die Wiedergewinnung einer Form (aus einer Rekonstruktion) welchen Gesichtes auch immer ist ja nicht begrenzt auf die Darstellung von Schmerz. Übrigens, auch der Mann im Bild „Paar mit Vogel“ hat Augen, die offenbar schief eingesetzt sind, wenn man das so sagen kann.

Ich dachte an ein Motiv der „Weinenden Frau“.

Eins der großen Probleme in darstellender Malerei ist, wie man den „Ausdruck“ malt. Es geht nicht. Jetzt wird gesagt, daß Munchs schreiende Figur nicht schreit, sondern lacht. Man braucht den Titel unter dem Bild, um es zu wissen. Außerdem sehen Gesichter, die so etwas wie Lachen ausdrücken, in Gemälden komisch aus. Das gehört zu den Sachen, die Picasso kann: sich menschlichen Umständen und Gefühlen zu nähern, ohne das durch Lächeln, Grimassen und so weiter anzuzeigen. Indem er die Form des menschlichen Gesichts neu zusammensetzt, kann er einem etwas nahebringen, ohne theatralisch zu werden. Die falsche Konzeption – das ist Lessing im „Laokoon“ – resultiert aus einer theatralischen Sicht auf die Malerei: zu glauben, daß der Maler schauspielernde Schauspieler male. Das haben aber Kritiker schon vor Jahrhunderten bemerkt, daß Emotionen in Bildern furchtbar aussehen. Extreme Gefühle sehen extem aus; aber was sie meinen, ist sehr schwer zu malen. Weil es fast unmöglich zu lesen ist.

Sie meinen, die „Weinende Frau“ weint nicht?

Doch, aber er zeigt doch nicht ein sehr wirkliches Gesicht, in dem die Tränen leuchtend herunterkullern. Er gibt dem Gesicht eine neue Form, restrukturiert es, malt es um.

Er malt nicht den Moment des Schmerzes, sondern dessen Modus?

Der Schmerz wird nicht ausagiert, es gibt niemand, der ihn darstellt. Ein Teil der expressionistischen Malerei verfährt noch so, und auch der Picasso der Blauen Periode versucht es noch: unglückliche Leute, die sich als Unglückliche darstellen. Dann – das ist oft gesagt worden – vollzieht sich eine Übersetzung. Er malt keine Akrobaten mehr, er ist einer. Sie können die Auffassung eines Malers von der condition humaine nicht trennen von der Weise, in der er sie malt. Man könnte behaupten, Picasso habe, als er reifer wurde, menschliches Leid besser verstehen gelernt – oder Sie sagen, er habe es besser malen können. Schwer zu sagen, was wahr ist. Beides scheint zusammenzugehören.

Macht es für Sie Sinn, sein Werk zu unterteilen und eine Ausstellung mit dem Titel „nach Guernica“ zu machen?

Einfach gesprochen, ist jeder Vorwand angebracht, um eine solche Gruppe von Bildern hinhängen zu können. Es lohnt sich! Prost! Was wir nicht wissen, ist, was weggelassen wurde, vielleicht das Hundertfache dessen, was gezeigt wird. Dreißig Jahre Malen. Ich glaube, daß die Show die politische Situation teils aufgegriffen hat, indem das „Leichenhaus“ vornan gestellt wird.

Irgendwie soll die Ausstellung politischer erscheinen, als sie tatsächlich ist.

Das sehe ich auch so. Ich kann das aber auch umdrehen und Ihnen antworten: Die Politik wird von der Malerei internalisiert. Menschen weinen ja, so scheint es auf den Nachrichtenfotos, als Folge politischer Ereignisse. Wir sagen, es ist Politik, wenn eine Frau in Jugoslawien weint – aber es ist auch die Familie, der Bruder, der Sohn, der Mann. Damit kann ein Maler umgehen; und das ist das Problem mit dem Korea-Bild: Picasso ist draußen auf dem Schlachtfeld. Es gibt schon große Bilder von Schlachten – bei Altdorfer etwa– aber sie neigen dann dazu, anonym zu sein. Die Anonymität der Schlacht wird gezeigt. Uccello: das Ritterliche...

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Die Grazie einer Idiotie...

Ja, die Show der Schlacht. Es sagt nichts über das menschliche Desaster einer Schlacht. Das gilt auch für filmische Rekonstruktionen von Schlachten, sie sind weitgehend unpersönlich. Gezeigt wird nicht, wie die Leute herumlaufen– vielleicht ein bißchen Alkohol drin, damit der Mut nicht nachläßt– und aufeinander schießen.

Offensichtlich ist das Thema wichtig. Aber die westliche Malerei zeigt – und das würde ich nicht von allen Traditionen behaupten–, daß es möglich ist, etwas von menschlicher Relevanz zu malen, wenn es auch nur eine Schale mit Obst ist. Wie Cézanne. Was man anschaut, ist das, was einem tatsächlich in dem Gemälde „gegeben“ wird. Ich würde fast sagen: nicht im Bild selbst, sondern im Prozeß des Malens.

Picasso war sehr zögerlich, was die Fertigstellung eines Bildes angeht. Er wollte nie aufhören, wie Rembrandt. Anders als Rembrandt jedoch, hat er nicht immer mehr Farbe aufs Bild gebracht, sondern hat es beiseite geschoben und ein Neues begonnen. Also hat man diesen ungewöhnlichen, andauernden Prozeß. Deshalb muß man viele dieser Bilder sehen, dann bekommt man den Sinn dafür. Das ist anders als beim Schriftsteller, der ein paar Worte ausstreichen kann; beim Malen gibt es diese verdammte Leinwand. Die Frage ist nicht: „Wann ist es fertig?“, sondern „Wann hörst du auf zu malen?“. Er hat nie aufgehört!

Sehen wir also lauter Fragmente vor uns?

Das zu sagen setzt zunächst eine ästhetische Einheit voraus. Picassos Werk aber macht deutlich– sehr postmodern, eigentlich –, daß es um die individuelle Arbeit nicht geht. Er produziert keine Ikonen, Dinge zum Anbeten.

Da Picasso in das Problem der Malerei so tief eingetaucht ist – warum hat er nie versucht, ein weißes Bild zu malen?

Weil, wie man wohl sagen müßte, die Gegenständlichkeit eine Ressource für ihn war.

Als ich in Berkeley in den sechziger Jahren anfing zu lehren, dachte man, daß die Gegenständlichkeit an ihr Ende gekommen war. Es schien unmöglich, weiterhin Figuratives zu malen, wir hatten Pollock und Rothko, die ganze New Yorker Szene; und Maler wie Rauschenberg und Johns, die das Ganze veräppelten, zutiefst ironisch waren. Man dachte, das war's. Natürlich gibt es ein paar Leute wie Robert Ryman, die darauf bestehen, abstrakt zu sein. Aber es wird ebenfalls versucht, das Figürliche zurückzubringen, und Abstraktion – oder jedenfalls Nichtgegenständliches – erscheint plötzlich als eine winzige Angelegenheit. Es gibt etwas in dieser Kultur von Bildern, das stark zum Gegenständlichen neigt. Picasso hat ohne den Gegenstand nicht malen, nicht zeichnen können.

Vielleicht gilt sein Werk in hundert Jahren als Symbol einer sehr verstörten Welt – mit ziemlich herben Momenten von Glück. Aber wenn man sich Fotografien Picassos ansieht, sieht man den ersten Popstar der Malerei, einen sehr glücklichen Menschen. Ist das nur die Regie der Fotografen?

Er war ein Darsteller, ein bißchen wie Charly Chaplin. Denken Sie an den Film, der mit Picasso gemacht wurde. Was Picasso auszeichnet, ist, daß er nicht aufhören konnte, das zu leisten. Definieren wir Malerei als Darstellung; nicht für andere Leute, sondern die Bewegung für sich. Er konnte nicht mehr leben, wenn er das nicht tun konnte.

Wie beurteilen Sie einen solchen Fall?

Die positive Art, das zu beurteilen, ist, zu sagen, daß er obsessiv war; daß er Angst hat aufzuhören, ist es, was ihn auszeichnet. Und offensichtlich ist das auch der Punkt, wo die Angst einsetzt.

Aber mein Gefühl, nachdem ich diese Ausstellung hier in Berlin gesehen hatte, war, daß all die menschlichen Schwierigkeiten und Aporien, die von dieser Malerei erfaßt werden... ich habe diese Ausstellung immens hoffnungsvoll verlassen, beeindruckt von den Fähigkeiten, die ein Mensch hat. Das Niveau der Produktion, des Könnens! Im Werk, bei der Arbeit. Und das ist ja oft so, bei großer Kunst, daß sie großen menschlichen Schmerz registriert, den Verlust...

Wenn Sie diese Arbeit sehen, das Werk – fühlen Sie sich davor groß oder klein?

Ich würde es weder so noch so ausdrücken. Aber ich denke schon, daß es etwas möglich macht, es macht Mut.

In bezug auf das, was getan werden kann?

Ja, aber es ist nicht die Welt, die „gemacht“ wird, sondern es sind Gemälde. Das sind die Grenzen. Da liegt das Problem von Kunst und Politik, auch mein Problem mit Kunststudenten und denen, die Kunstgeschichte studieren. Wenn dir der politische Eingriff so wichtig ist, dann mußt du hinausgehen und Politik machen! Natürlich gab es Leute, die als Maler sehr politisch waren, wie David. Aber letztlich geht es um Malerei, was nicht heißt, sie klein zu machen. Es ist eine andere Tätigkeit. Regieren ist etwas anderes, oder einer Gewerkschaft vorzustehen, oder Feministin zu sein.

In der amerikanischen Kritik heißt es jetzt: die Kunstwelt... man schreibt nicht mehr über Maler, sondern über die Kunstwelt. Der Kunstmarkt ist vielleicht nicht die beste Szene.

Sie verachten das.

Nein, das nicht, aber ich finde das nicht sehr interessant. Es gibt viel Ärger, ohne daß die Kunst eine Rolle spielt.

Glauben Sie, daß Picassos Leben in einem so idealen Zeitrahmen positioniert war, daß er da nicht zu sehr hineingezogen wurde?

Er war schlau. Wenn er mit Kahnweiler zu tun hatte, hat er schon gute Geschäfte gemacht, was Berger ja auch beschrieben hat. Er hat Millionen gemacht, und er hatte enorme Fähigkeiten.

Aber mußte er so viel darüber nachdenken?

Aber gewiß. Er war sehr taktisch: Stellte man im Salon aus, im Paris jener Zeit, oder nicht? Manet hat seine Bilder immer wieder eingesandt – Picasso nicht. Der Augenblick, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen: Wie präsentiert man sich am Markt? Nicht mal im alternativen Salon ist er aufgetaucht. Und Kahnweiler, sein Galerist, war auch schlau.

Wenn man zu Reichtum kommt, wie ist es zu erklären, daß die Warenwelt, alles, was die Pop- art dann beschäftigt hat, in seine Kunst keinen Eingang gefunden hat?

Warum hätte sie es sollen?

Eine goldene Periode... Wie macht man das, daß Reichtum nicht vorkommt im Werk? Wie ist man reich und zeigt es nicht?

Er hat ja schon sehr isoliert gelebt.

Isoliert von wem?

Von der Gesellschaft. Mit Ausnahme jener Periode, als er mit dem Ballett zu tun hatte [1919–1922]. Wie Sie wissen, hatte Picasso keine Schüler, eine außergewöhnliche Karriere, er hat mit niemand anders gearbeitet. Ich meine, selbst Mark Rothko hatte einen Helfer im Atelier, der ihm seine Leinwände grundiert hat. Picasso war absolut eigenhändig, soweit wir wissen.

Er hielt hof, die Leute kamen, und er forderte erhebliche Hingabe. Das hat so funktioniert. Sein Geld hat er nicht eingesetzt, um hier und da ins Rampenlicht zu treten, sich in schicken Restaurants zu zeigen; er hat kein aufwendiges Leben geführt. In diesem Sinn ist er Arbeiter geblieben. Auf Ihre Frage, ob er glücklich gewesen ist: Spaß hat er gehabt. Aber wer ist schon glücklich, außer Narren. Ich würde mal annehmen, wenn man so produktiv sein kann, daß sich eine gewisse Zufriedenheit einstellt. In der Lage zu sein, am nächsten Tag aufzustehen und dasselbe zu tun. Und das führt diese Ausstellung wirklich vor. Das wird schon sichtbar: gekonnt gerichtete Energie.

Vielen Dank.

Aus dem Amerikanischen von Ulf Erdmann Ziegler

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