Karin H.: „Sportlich, christlich, rechts“

Die 22jährige Karin sieht die Zukunft rechts, will aber mit rassistischen Schlägern nichts zu tun haben/ Sie gehörte zu einer Skin-Gruppe, die im ostdeutschen Eberswalde Amadeu Antonio erschlug  ■ Ein Porträt von Bascha Mika

Ich bin“, sagt Karin H., „eine normale Frau.“ Mit Kind, Job und Plänen für die Zukunft. Die Zukunft, die liegt da draußen, vor ihrem Zimmerfenster am Rande der Stadt. Die Pläne schmiedet sie drinnen, auf 16 Quadratmetern zwischen Bett und Couch. Abitur will sie machen, Jura studieren, mit Freund und Sohn gemeinsam leben.

Doch aus dem Familienfrieden wird vorerst nichts. Der Kindsvater sitzt im Knast.

„Ich bin“, sagt Karin H., „sportlich, christlich, rechts.“ Forsch kommen die drei Worte, und man sieht ihr an, daß ihr die Kombination gefällt. Und weil ihr vor allem das „Rechtssein“ gefällt, will sie beweisen, daß nicht alle, die denken wie sie, gleich „Idioten“ sind. „Rechts sein ist für die Zukunft“, verkündet sie, „und die Menschen sollten mal sehen, daß es auch normale Rechte gibt.“

Stark sein wie die Jungs, das war immer ihr Ziel

Das normale Leben der Karin H. begann 1970 im ostdeutschen Schwedt. Gerade mal 18 war ihre Mutter, als sie das Mädchen in die Welt setzte; die ersten Jahre wurde es den Großeltern überlassen. Die Mutter, erzählt Karin H., und man spürt ihren Widerstand, „hat voll das Sagen in der Familie“. Ihr Vater sei ein schmales Brett, die Mutter hingegen brauche zwei Stühle. „Da ist es schwer, bei der Frau durchzukommen — im wahrsten Sinne des Wortes.“

Um trotzdem durchzukommen, mußte das Mädchen seine Kräfte mobilisieren. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin, beim Sport konnte es ihr nicht hart genug zugehen. Wenn sie stark war wie die Jungs, fand sie das prima, von militärischen Wettkämpfen war sie hellauf begeistert. Mit 13 wollte Karin Feldwebel werden; Knastdirektorin oder Polizistin hätte ihr auch noch gefallen.

Der Vater konnte auf der Suche nach Orientierung und einer starken Hand nicht viel bieten. Aber es gab ja andere autoritäre Muster: in der Figur der Mutter und des staatlichen Übervaters. Wo Hierarchie ist, lernte sie, ist auch Ordnung, ist bedenkenlose Unbedingtheit und immer einer, der die Macht hat. „Ich fühle mich gut“, gibt sie zu und lacht, „wenn ich über andere bestimmen kann.“ Militär fasziniert sie bis heute: „Das Prinzip, das Geordnete, das So-sein-Müssen.“

Von Ordnung im eigenen Leben kann Karin H. im Moment nur träumen. Monatelang, bis Anfang September diesen Jahres, wurde sie in unregelmäßigen Abständen nachts aus dem Bett geklopft. Polizei. Auf der Suche nach ihrem Lebensgefährten Kay-Nando Böcker.

Mit einer Horde Heavy-Metals und Skins hatte er 1990 im ostdeutschen Eberswalde drei Schwarze überfallen. Einer wurde totgeprügelt. Als der Prozeß begann, suchte Böcker das Weite. Selbst seine Freundin wußte lange nicht, wo er steckte.

„Ich bin“, sagt Karin H., „selbstbewußt und sag' immer, was ich meine.“ Wie sie so dasteht, könnte man ihr wohl glauben. Alles an ihr ist kräftig: die Glieder, die Bewegungen, die Stimme. Vielleicht war sie schon als Kind zu wenig muksch, eine Spur zu eigensinnig, um sich dem DDR-Sozialismus widerstandslos zu ergeben. Da war das Bedürfnis, geführt zu werden, aber gleichzeitig eines nach Rebellion.

Und dann war da noch ihr Onkel — „'ne richtig rote Socke“ —, der als Abschreckung diente. Als FDGB-Vorsitzender von Brandenburg genoß er alle Privilegien eines SED-Bonzen. Die nutzte er weidlich. Karin brauchte nur seinen Lebensstil mit dem ihrer Eltern zu vergleichen — der Vater arbeitete in der Sparkasse, die Mutter als Erzieherin —, dann hatte sie DDR-Gerechtigkeit pur. Das brachte sie maßlos auf.

„Ich bin“, sagt Karin H., „immer sehr für Gerechtigkeit gewesen.“ Zwanzig Jahre hat sie Erfahrung mit willkürlicher Gesetzgebung gemacht, doch an die Kraft der Gesetze glaubt sie wie an eine eherne Macht. „Gesetze sind eben so. Daran kann man nicht rütteln.“ Und rütteln will sie auch gar nicht, sondern festhalten und teilhaben an dieser Macht, Staatsanwältin oder Strafverteidigerin werden. Nach zehn Jahren Schule hat sie Kellnerin gelernt; heute arbeitet sie in einem Hotel.

Als Jugendliche fand Karin H. Gefallen an allem, was nicht ins System paßte. Zum Beispiel die Kirche. Sie sei zwar nicht richtig gläubig, aber was wäre ihr damals als Freiraum schon übriggeblieben? Als Kind saß sie mit auf der Orgel, als 14jährige ließ sie sich konfirmieren.

Mit ihrer Mutter, meint sie, brauche sie nur zehn Minuten zusammenzusitzen, und schon gebe es Knatsch. „Aber unser Pastor war ein Mensch, mit dem ich über alles reden konnte.“ Jugendweihe wollte Karin keine, bekam sie aber trotzdem verpaßt, weil der Schuldirektor die Eltern unter Druck setzte. Da war der Sozialismus für sie endgültig gestorben.

Zur selben Zeit begegnete sie Kay-Nando bei einem Handballturnier. Sie wohnte in Gartz, er im ein paar Kilometer entfernten Kasekow, sie kannten sich schon als Kinder. Die Eltern schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Ausgerechnet der, wo man doch wußte, daß der Vater immer in der Kneipe rumhing und zu Hause alles drunter und drüber ging. Auch Kay mit seiner massigen Statur sah nicht gerade aus wie Omas Liebling.

„Ich bin“, sagt Karin H., „ein ziemlicher Dickkopf.“ Ihre Eltern wollten sie von Kay- Nando trennen und erreichten das Gegenteil. „Erst war es Trotz, dann war es Liebe“, schwärmt die 22jährige in ihrem Zimmerchen. Die Liebe gibt es zwar immer noch, nur sitzt der Adressat weit weg hinter Gittern.

Gemeinsam machten die beiden alles durch, was sie in der DDR an Jugendkulturen mitbekamen. „Hauptsache, anders als die Normalen!“ Mal mit langen Haaren, mal mit Ketten, mal als Gruftis, mal als Heavy-Metals und schließlich als Skins. „Das fanden wir am besten.“

Nur Punker wurden sie nie, denn schon damals paßte das nicht zu ihrer Gesinnung. Ab wann sich Karin als Rechte fühlte, weiß sie heute nicht mehr genau. „Rechts angeschlagen waren wir beide schon immer. Schon weil es im Gegensatz zu unserem Staat war.“

Jetzt liegt sie damit zwar voll im Trend, aber das hat ihre Einstellung nicht kuriert. Ganz atemlos speit sie den ganzen Brei aus, der hierzulande schon lange kocht. Von den „Asylbetrügern“, gegen die man sehr viel, und den Kriegsflüchtlingen, gegen die man doch gar nichts habe.

Auch ihren Gerechtigkeitssinn bringt sie ins Spiel: Die Ausländer seien privilegiert, die Deutschen untergebuttert, und auf die Rechten würde nur eingeschlagen. In ihrem Realitätskonstrukt werden die Täter zu Opfern, und für Opfer hat Karin H. eben was übrig. Als Rassistin fühlt sie sich dabei nicht: „Das sind doch normale menschliche Gedanken“, versucht sie sich und anderen weiszumachen.

Mit der ganz braunen Soße will sie allerdings nichts zu tun haben. „Hitler?“ fragt sie angriffslustig, „ich verabscheue diesen Mann sogar. Er hat für die Deutschen die Zukunft als Alptraum hinterlassen.“ Sie meint nicht die Schuld der Deutschen, sondern schlichtweg den schlechten Ruf, den sie davongetragen haben. Gegen den müßten sie nun mühselig ankämpfen.

Wenn sie an ihre dumpfdeutschen Geschlechtsgenossinnen denkt, gerät Karin H. richtig in Rage. Sich unter Gleichgesinnten zu organisieren hält sie für sinnvoll, aber doch nicht zu Füßen der männlichen Stiefelideologen.

Da trägt sie die Stiefel schon lieber selber. „Sich hinzusetzen und reinrassiges Gedankengut zu haben find' ich echt blöd“, lästert sie über die Frauen, die zu Hause „für das Dritte Reich stricken“. „Die Zeiten haben wir doch Gott sei Dank hinter uns. Nazi ist die Vergangenheit. Rechts sein ist für die Zukunft!“

Doch wenn Karin H. erklären soll, worin diese Zukunft besteht, wird sie, die bis dahin geredet hat wie ein Wasserfall, zum kläglichen Rinnsal. „Deutsche Kultur zu bewahren“, äußert sie zögernd nach langem Brüten.

Was das denn sei? Wieder Schweigen, gerunzelte Stirn und anstrengendes Denken. „Biergartenmäßig“, kommt es dann plötzlich erleichtert, „wo findet man sonst schon noch einen Biergarten? Oder 'ne richtige deutsche Kneipe mit Salzkartoffeln und durchgebratenem Schnitzel.“ Oh, Karin.

Kay-Nando und Karin waren bei weitem nicht die einzigen Jugendlichen rund um Schwedt, die sich rechtsradikal orientierten. Schon in Vorwendezeiten war diese Stadt ein rechtes Nest. Ihre Gruppe, schätzt die junge Frau heute, bestand aus 150 bis 200 Leuten. Die meisten kannten sich schon von Kindesbeinen.

Als der Staat rundherum wegbröckelte, gerieten die Jugendlichen außer Rand und Band. Die Brüder Böcker waren immer dabei, auch Karin, als eines der wenigen Mädchen. Saufereien mit anschließender Randale wurden zum Wochenendsport. Mann war deutsch und rechts, und Kontakte zu organisierten Neonazis, hauptsächlich von der Nationalistischen Front, waren auch schon da.

Karin verstand zwar „den Frust der Bengels“, hält aber angeblich nichts von Gewalt: „Lieber den Mund fusselig reden als zuhauen.“ Sie ist so stolz auf ihren Einfluß bei Kay, doch an diesem Punkt war es damit vorbei.

Wenn er mit seinen Kumpels loszog, „wollte er wie alle Männer auf hart machen“. 1989 schlugen Kay und sein Bruder — „Sven trampelt, ohne zu denken, auf jedem rum“ — aufs übelste zu. Karin war schwanger, Kay wanderte in den Knast.

„Ich bin“, sagt Karin H., „nicht gerade ängstlich.“ Doch vor dem Familienleben hatte sie „Schiß“. Auch heute kann sie nur schwer darüber reden. Kay, der nie ein richtiges Zuhause gekannt hatte, wollte das Kind. Als der Junge zur Welt kam, war Karin 18, wie ihre Mutter damals. Und als müßte sie ihre eigene Geschichte wiederholen, behielt auch Karin ihr Kind nicht bei sich. Es lebt bei der Mutter.

„Ich hasse Leute, die vor Problemen wegrennen“

Als Kay auf Bewährung rauskam, versuchten beide ihr „Leben zu normalisieren“. Doch im November 1990 zogen sie doch wieder los. Mit den „Bengels“ zu einem Skin- und Heavy-Metal-Treffen nach Eberswalde. Am Ende der Nacht waren zwei Schwarze zusammengeprügelt, Amadeu Antonio totgeschlagen.

Kay und Sven wanderten in Untersuchungshaft, Karin war wütend. „Ich war stinksauer auf alle. Was hatten ihnen die drei Neger getan? So was tut man doch einfach nicht!“ Sie ließ Kay „voll winseln“, zog weg nach Stuttgart, nahm ihn dort aber, als er wieder auf freiem Fuß war, gnädig auf.

Der Prozeß begann, Karin H. brachte ihren Freund zur Bahn. Doch der fuhr nicht nach Eberswalde, sondern nach Frankreich. Karin tobte: „Ich hab' das voll verabscheut. Ich hasse Leute, die vor Problemen wegrennen.“ Als die Polizei bei ihr auftauchte, gab sie ein Foto von Kay raus, „damit er schneller gefunden wird“. „Wenn du was verbockt hast“, hatte sie ihm immer gesagt, „mußt du dafür geradestehen.“

Im Moment bleibt Kay-Nando Böcker auch nicht viel anderes übrig. Monate brauchte die Polizei, bis sie ihn endlich faßte. Zur Zeit steht er in Frankfurt/Oder vor dem Richter.

Karin H. hockt allein in ihrem Zimmerchen in Stuttgart, einmal pro Woche ruft Kay an. „Ich bin“, sagt Karin H., „nach Stuttgart gekommen, weil ich ein neues Leben anfangen wollte. Ich wollte doch aus meinem Leben was Anständiges machen.“