Harte Zeiten für Minderheiten

Rumänien drei Jahre nach dem Sturz Ceaușescus/ Wirtschaftliche Probleme fördern gefährliche Nostalgie/ Pogrome gegen Roma und rumänisch-ungarische Konflikte  ■ Von William Totok

Berlin (taz) – Mit der Verhaftung des nationalkommunistischen Diktators Nicolae Ceaușescu vor drei Jahren schien das Ende eines 45jährigen kollektiven Alptraums gekommen zu sein. In der allgemeinen euphorischen Aufbruchstimmung des blutigen Dezembers 1989 etablierte sich jedoch hinter den Kulissen die zweite Garnitur der Nomenklatura, die unter der Bezeichnung „Front zur Nationalen Rettung“ in kürzester Zeit die Macht an sich riß.

Der groteske Prozeß gegen das Diktatorenehepaar und dessen überstürzte Hinrichtung hinterließen sowohl in Rumänien als auch im Ausland einen bitteren Nachgeschmack. Die Schuldigen für die Massaker an den Aufständischen blieben bis auf den heutigen Tag unentdeckt. Von den sogenannten „Terroristen“, die nach der Verhaftung Ceaușescus mehr Menschen ermordeten, als während der Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gefallen waren, fehlt jede Spur. Der parlamentarische Ausschuß zur Untersuchung der Dezemberereignisse fischte drei Jahre lang im trüben. Ohne jedwedes Ergebnis. Die verhafteten Politgrößen des ehemaligen Regimes wurden wohl vor Gericht gestellt, aber viele der Angeklagten befinden sich schon wieder auf freiem Fuß. Zu den Entlassenen gehören sowohl der Sohn des Diktators, Nicu Ceaușescu, als auch der ehemalige Securitate-Vize aus Temeswar, Radu Tinu – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Pilgern ans Grab Ceaușescus

Derweil pilgern die Unterprivilegierten und neuen Armen, die sich als Opfer der Wirtschaftsreform betrachten, an das Grab des hingerichteten Diktators, wo sie sich gegenseitig ihr Leid klagen. Die Wohnungen sind auch drei Jahre nach dem Sturz Ceaușescus ungeheizt, die Strom- und Warmwasserzufuhr rationiert, die Schlangen vor den Lebensmittelläden mit Billigangeboten enorm.

Zehntausende RumänInnen haben in den letzten Jahren ihr Land verlassen, darunter zahlreiche Roma, gegen die in den Publikationen rechtsextremer Parteien und Organisationen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, die absurdesten Vorwürfe erhoben werden. Pauschal werden Roma als Schwarzmarkthändler oder Profiteure der Revolution bezeichnet und für die steigende Kriminalität verantwortlich gemacht. Die wiederholt registrierten pogromartigen Überfälle auf Romasiedlungen sind nur eine Folge dieser nationalistisch überhitzten Atmosphäre, die das Iliescu-Regime stillschweigend duldet.

Der unaufhaltsame Aufstieg rechtsextremer Organisationen, darunter der im Parlament vertretenen „Partei Groß-Rumänien“ und der „Nationalen Einheitspartei der Rumänen“, sowie deren Seilschaften zu Kreisen des Präsidentenpalastes und zu der in „Rumänischer Nachrichtendienst“ umgetauften Securitate haben dem Image des Landes im Ausland nachhaltig geschadet. Die unausgesetzten antisemitischen Haßtiraden gewisser Publikationen, darunter der vom rumänischen Verteidigungsministerium beziehungsweise Innenministerium ausgezeichneten Gazetten Europa und Groß-Rumänien, sowie die gegen die ungarische Minderheit gerichteten Pressekampagnen verleihen dem posttotalitären rumänischen Nationalismus eine gefährliche Dimension, die wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Rumänen und Angehörigen der Minderheiten führte. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und Rumänen im März 1990 in Tirgu Mureș waren ein erster Kulminationspunkt der bewußt angestachelten interethnischen Konflikte.

Reizwort Autonomie

Die seit Monaten vom berüchtigten Klausenburger Bürgermeister Gheorghe Funar eigenwillig angeordneten antiungarischen Maßnahmen, die auf ein Verbot sämtlicher Aktivitäten des „Demokratischen Verbandes der Rumänienungarn“ abzielen, lösten nun auch Gegenreaktionen rechtsradikaler Ungarn aus. So hatten Skins kürzlich im ostungarischen Städtchen Gyula, dem Zentrum der rumänischen Minderheit aus Ungarn, eine „Strafaktion“ durchgeführt, wobei sie zahlreiche Fensterscheiben zertrümmerten und antirumänische Parolen skandierten.

Innerhalb des „Verbandes der Rumänienungarn“ wiederum scheint sich ein um den Bischof Laszló Tökes und den Senator Szöcs Géza gruppierter radikal-nationalistischer Flügel durchzusetzen, der im November die „Gemeindeautonomie“ für die ungarische Minderheit forderte. Schon die Benutzung des Wortes „Autonomie“ wird jedoch von rumänischen Ultranationalisten als territorialer Abspaltungsversuch gewertet.

Aus diesem Grund verlangte jetzt im Parlament der Vorsitzende der großrumänischen Partei und antisemitische Verseschmied, Corneliu Vadim Tudor, das unverzügliche Verbot des ungarischen Verbandes und der unbequemen Bürgerrechtsbewegung „Gesellschaft Timisoara“. Die Ungarn hätten, laut Tudor, bereits im Dezember 1989 die Unruhen gegen Ceaușescu angezettelt, mit der Absicht, Siebenbürgen von Rumänien abzutrennen.

Die Gedenkveranstaltungen anläßlich des vor drei Jahren stattgefundenen Aufstandes gegen Ceaușescu in Temeswar wurden nun nicht nur von derartigen Erklärungen überschattet, sondern auch von den grotesken Anschuldigungen gegen die Teilnehmer an der Revolution. Geheimdienstchef Magureanu soll in einer für das Parlament vorbereiteten Erklärung die Gesellschaft „Timisoara“ als eine faschistische Organisation bezeichnet haben – wegen ihrer Kontakte zu amnesty international und US-Diplomaten.

Ceaușescu ist tot, aber der Geist seiner unsäglichen nationalistischen Diversionen scheint ungebrochen die rumänische Öffentlichkeit zu beherrschen.