Ex-Premier Fabius muß vor Gericht

■ Französische Politiker wegen Blutskandal angeklagt/ Regierungsmitglieder bisher fast unangreifbar

Paris (taz) – In Frankreich müssen sich nun erstmals auch Politiker für den Blutskandal verantworten, durch den 1.500 Bluter und mehrere tausend Menschen, die bei Operationen Transfusionen erhielten, mit dem HIV-Virus infiziert worden sind. Die beiden Kammern des Parlaments beschlossen am Wochenende, den ehemaligen Premierminister Laurent Fabius, die frühere Sozialministerin Georgina Dufoix und Ex- Gesundheitsminister Edmond Hervé wegen „unterlassener Hilfeleistung“ anzuklagen und vor ein Sondergericht zu schicken. Damit haben die Opfer der verseuchten Blutpräparate einen großen Sieg errungen. Bislang mußten sich nämlich nur vier Funktionäre der Bluttransfusion und des Gesundheitswesens dafür verantworten, daß bis Oktober 1985 HIV-infizierte Blutpräparate verteilt und von der Krankenkasse erstattet worden sind, obwohl feststand, daß sie verseucht waren.

Mitterrands Eingreifen

Die zuständigen Politiker versuchten bis zuletzt, sich hinter einer anonymen Bürokratie zu verstecken. Doch das Drama, das bereits 300 Blutern das Leben gekostet hat, bewegt die Öffentlichkeit derart, daß Medien und Opposition eindeutige Schuldzuweisungen verlangen. Anfang November hatte auch Präsident Mitterrand verlangt, daß sich sein Ex-Regierungschef und dessen Minister vor dem Hohen Gericht, einer politischen Sonderjustiz, verantworten sollten. Die Verfassung schließt aus, daß Regierungsmitglieder für ihre Amtstaten vor ein normales Gericht gestellt werden. Zur Anklage kommt es nur, wenn beide Kammern des Parlaments mit absoluter Mehrheit dafür stimmen. Deshalb konnte der Hohe Gerichtshof bislang auch noch nie zusammentreten, Regierungsmitglieder waren praktisch unangreifbar.

Allein Mitterrands Eingreifen hatte die Sozialisten dazu bewegt, die Prozedur mitzutragen. Dennoch blockierten sie die erste Abstimmung am Mittwoch, weil die Opposition nur die Namen Dufoix und Hervé in die Anklageschrift gesetzt hatte. Mit ihrem Nein lehnte sich die Sozialistische Partei (PS) gegen Fabius auf, der es in letzter Minute abgelehnt hatte, aus Solidarität mit seinen Ex-Ministern die Erhebung einer Anklage gegen sich selbst zu verlangen. Bei ihrem Veto handelte es sich also um eine Ohrfeige an den heutigen Parteichef. In der Öffentlichkeit wird jedoch der fatale Eindruck haften bleiben, die Sozialisten wollten ihre eigenen Leute schützen – ein besseres Wahlkampfthema können sich ihre Gegner nicht wünschen. Nachdem sich Fabius notgedrungen besann und in einer erneuten Parlamentssitzung mit bleicher Mine für seine Anklage plädierte, stützten auch die Sozialisten die Prozedur. Der Parteichef sagte: „Alles an dieser Prozedur muß uns in Schrecken versetzen.“ Der Mechanismus des Hohen Gerichtshofs entspreche einem „Opferritus“, es werde nach „Sühneopfern“ gesucht.

Wahlen und Sondergericht

Eine Untersuchungskommission des Obersten Gerichtshofes wird nun ermitteln, ob die Überweisung der Angeklagten vor den Hohen Gerichtshof gerechtfertigt ist. Falls die Richter ja sagen, wird das Sondergericht voraussichtlich im April zusammentreten. Die 24 Richter werden nach Parteienproporz aus Abgeordneten des Parlaments gewählt, das nach den Parlamentswahlen vom März überwiegend aus Abgeordneten der beiden konservativen Parteien RPR und UDF bestehen dürfte.

Der Blutskandal hat wesentlich dazu beigetragen, daß das Ansehen der Sozialisten bei den Franzosen ruiniert ist; niemand zweifelt daran, daß die PS bei den Wahlen eine immense Niederlage erleiden wird. Damit steht auch fest, daß die im April zu bestimmenden Richter mehrheitlich politische Gegner der Angeklagten sein werden – weshalb die PS eine Art Inquisition befürchtet. Einspruch gegen das Urteil des Hohen Gerichts ist nicht möglich. Unterdessen hat Mitterrand eine Verfassungsreform vorgeschlagen, bei der die allseits kritisierte Prozedur nur noch für Hochverrat beibehalten bleiben soll. Bei allen anderen Anschuldigungen sollen Minister vor ein normales Gericht gestellt werden können. Die drei Angeklagten könnten von der Reform nicht mehr profitieren. Bettina Kaps