"Was ist noch erlaubt, was nicht?"

■ Justizminsterin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigt im taz-Interview die Entsendung von Soldaten nach Somalia und fordert "Klarheit darüber, was die Bundeswehr künftig darf und was nicht"

taz: Frau Ministerin, gibt es eine Tendenz in der Politik, das Grundgesetz und sogar Grundrechte leichtfertiger aufs Spiel zu setzen als bisher?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben im Moment eine Situation, in der Verfassungsfragen häufiger als üblich eine ganz wesentliche Rolle spielen. Auf der einen Seite gibt es die grundsätzliche Verfassungsdiskussion über die Reform des Grundgesetzes im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung. Da ist unsere Ausgangsposition: Das Grundgesetz muß nicht vollkommen überholt werden, sondern man sollte sich auf eine vorsichtige Reform beschränken. Wir sollten unsere Verfassung nicht als Verhinderungsinstrument verstehen, sondern deutlich machen, daß sie aus guten Gründen manche Dinge erlaubt und andere verbietet.

Sie haben in den vergangenen Monaten zum Beispiel bei den Themen Asylrechtsänderung, Lauschangriff eher eine bremsende Rolle unter den forschen Grundgesetzänderern eingenommen. Gleichzeitig haben Sie nun offenbar ohne „Gegenwehr“ dem verfassungsrechtlich fragwürdigen Engagement in Somalia zugestimmt.

Bei dem jetzt in Somalia ins Auge gefaßten Einsatz der Bundeswehr handelt es sich um Gebiete, in denen es keine Kampfaktionen mehr gibt. Das Ziel heißt humanitäre Hilfe. Das ist aus meiner Sicht, gemessen an Artikel 87a, Absatz 2 Grundgesetz, verfassungsrechtlich vertretbar. Aber unabhängig von den unterschiedlichen juristischen Auffassungen über die Möglichkeiten, die unsere Verfassung jetzt schon zuläßt, ist es ganz wichtig, daß wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber erreichen, was die Bundeswehr künftig darf und was nicht. Dafür müssen wir dann eine eindeutige und klare Formulierung in unserer Verfassung haben. Die fehlt derzeit.

Sie plädieren also dafür, daß über den aktuellen Anlaß hinaus rasch eine neue Grundgesetzformulierung für die Einsatzmodalitäten der Bundeswehr gefunden wird?

Egal wie man die derzeitige Fassung beurteilt, wir werden einen neuen Text, der die Einsatzmöglichkeiten, vor allem die Voraussetzungen und die Grenzen enthält, formulieren müssen. Nur so entgehen wir der Grauzonen-Situation, in der man nicht genau weiß, was ist noch erlaubt und was nicht. Wir können nur verantworten, Bundeswehrangehörige in Krisenregionen zu schicken, wo für sie persönliche Gefahren drohen, wenn die Kriterien in der Verfassung klar zum Ausdruck kommen und der Bundestag über diese Einsätze jeweils mitentscheidet.

Mit einfacher oder mit Zweidrittelmehrheit?

Der Gesetzentwurf der FDP, den der Außenminister und ich formuliert haben, sieht eine einfache Mehrheit vor. Natürlich kann man auch darüber diskutieren, ob es bei Kampfeinsätzen eine Zweidrittelmehrheit sein sollte.

Auch für eine effektivere Bekämpfung der Organisierten Kriminalität diskutieren Regierung und SPD-Opposition Grundgesetzänderungen, die den sogenannten „großen Lauschangriff“ auf Privatwohnungen möglich machen sollen. Sie haben das bisher abgelehnt. Wie könnte ein Kompromiß aussehen?

Für mich darf ein Grundsatz nicht verletzt werden: die unmittelbare Privat- und Intimsphäre des einzelnen – und das ist für mich die Wohnung – verlangt Schutz. Da hat der Staat nichts zu suchen. Daneben gibt es Betriebs-, Geschäfts- und Arbeitsräume, wo der Schutzcharakter ein anderer ist. Da steht nicht so sehr die Persönlichkeit und Privatsphäre des einzelnen im Vordergrund. Nur über diesen Bereich bin ich bereit nachzudenken, ob ein Abhören möglich gemacht werden sollte.

Sie haben sich bei der Diskussion über schärfere Gesetze im Kampf gegen den Rechtsextremismus immer zurückgehalten. Gleichzeitig ist jetzt ohne große Diskussion – nach früherem Vorbild gegen Links – eine Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung (KGT) gegen Rechts gebildet worden, in der auf verfassungsrechtlich bedenkliche Weise Bundeskriminalamt, Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz kooperieren. Wird da versucht, den Rechtsstaat zu schützen, indem man ihn zur Disposition stellt?

Nein, das sehe ich so nicht. Diese Gruppe hat zum Ziel, möglichst viele Erkenntnisse der Ermittlungs- und der Strafverfolgungsbehörden zu bündeln und auszutauschen. Die KGT wird ja nicht gesetzgeberisch tätig.

Trotzdem entwickeln derartige Einrichtungen, die ja nicht zufällig nach den Erfahrungen im „Dritten Reich“ ausgeschlossen bleiben sollten, ein Eigenleben und auch ein erstaunliches Beharrungsvermögen.

Für mich ist klar, daß der Verfassungsschutz auf seine einmal festgelegten Tätigkeiten und Aufgaben festgelegt ist und bleibt. Da können wir nicht drüber hinausgehen. Es dürfen nicht andere Zuständigkeiten aus so einer Koordinationsgruppe entstehen. Deshalb muß sie auch sehr sorgfältig begleitet werden. Aber festzuhalten bleibt: Sie ist kein Gesetzgebungsorgan.

Auf Vorschlag von Bundesinnenminister Seiters hat das Bundeskabinett beantragt, zwei Rechtsextremisten Teile ihrer Grundrechte zu entziehen. Was halten Sie von dieser Form symbolischer Politik?

Das ist schon eine Wertung in Ihrer Frage. Zum einen gibt es diese Bestimmung in unserer Verfassung. Von ihr ist aber bisher praktisch kein Gebrauch gemacht worden. Ihre Anwendung ist auch mit Sicherheit kein Allheilmittel etwa gegen rechtsradikale Parolen oder das Absingen entsprechenden Liedguts. Aber es hat Signalcharakter, und es gibt uns die Möglichkeit, Meinungsmacher mundtot zu machen, wenn man ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung nimmt.

Interview: Gerd Rosenkranz