Auf Sprechblasen kann man nicht schlafen

■ Keine Chance für obdachlose Junkies in St. Pauli: Bezirksversammlung Mitte lehnt Notunterkünfte endgültig ab

: Bezirksversammlung Mitte lehnt Notunterkünfte endgültig ab

Es gibt Übernachtungsplätze für obdachlose Drogenabhängige im Stadtteil St. Pauli, und das seit vielen Monaten. Weshalb noch kein schlafplatzsuchender Junkie sie gefunden hat? Sie stehen auf dem Papier und sonst nirgendwo. In den Haushaltsansätzen der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) der Jahre 1992 und 1993 sind acht Schlafplätze ausgewiesen und damit auch finanziert. Doch in einem drogenpolitischen Amoklauf menschenverachtender Art verhindern das Bezirksamt Mitte ebenso wie die Bezirksversammlung die Realisierung der BAGS-Pläne. Und nicht nur das. Auch eine unbürokratische Initiative der Niendorfer Kirchengemeinde St. Ansgar wurde von den Mitte-Kommunalpolitikern um die Ecke gebracht.

Seit Monaten stehen Kirchenleute auf dem Sprung, sie könnten in kürzester Zeit 30 obdachlosen Junkies vom Kiez einen Schlafplatz bieten, inklusive Betreuung. Die Kirchengemeinde hat aus Spendengeldern drei Wohncontainer und einen Zirkuswagen gekauft, die laufenden Kosten des Projekts würden aus Kirchentöpfen bestritten. Fehlt nur ein Stellplatz. Den rückt der Bezirk Mitte nicht heraus. Erst blockierte das Bezirksamt, und in der vorigen Woche kam das endgültige Aus aus der Bezirksversammlung.

Das Argument der großstädtischen Provinzpolitiker aus SPD- und CDU-Fraktion: Junkie-Übernachtungsplätze würden eine Sogwirkung ausüben und die Drogenszene im Stadtteil vergrößern. Dem widersprechen Experten der Suchtkrankenhilfe vehement, und auch im „Referat Drogen und Sucht“ der BAGS hat man ganz andere Einsichten.

In einem Brief, den der Öffentlichkeitsarbeiter des Drogenbeauftragten, Horst Bossong, am 8.12. an die Kirchengemeinde schrieb, heißt es: „Gerade bei dem Angebot von Übernachtungsplätzen ist es notwendig, diese szenenah anzusiedeln, um so die angesprochene Klientel auch zu erreichen. Die Befürchtung, daß dies zu einer zusätzlichen Belastung des Stadtteils führt, ist schon deshalb abwegig, weil es sich bei den Benutzern des Angebotes um die Personen handeln wird, die derzeit in Hauseingängen und öffentlichen Plätzen in diesem Stadtteil leben und schlafen.“

Die BAGS, so der Brief weiter, ist bereit, „die Schaffung eines Übernachtungsangebotes für Drogenabhängige in St. Pauli mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen“. Doch diese Worte scheinen einer Politiker- Sprechblase entfleucht zu sein, denn bislang ist keine Initiative des Sozialsenators Ortwin Runde (SPD) bekannt, die gnadenlosen Mitte-Beschlüsse zu korrigieren. Dabei ließe das hamburgische Verwaltungsrecht so etwas problemlos zu. Senator Runde ist für eine der InitiatorInnen aus Niendorf, Gabriele Scheel, seit Wochen nicht einmal zu sprechen.

Gestern erklärte Frau Scheel auf einer Pressekonferenz in der Drogenberatungsstelle „Stay alive“ — wo ständig obdachlose Junkies auflaufen —, sie setze ihre Hoffnungen nun auf den Altonaer Bezirksamtsleiter Hans Peter Strenge: Vielleicht hat er in Altona ein Plätzchen frei. Volker Nienstedt, GAL- Fraktionsvorsitzender in Mitte, hat eine andere Idee: „Jetzt kann nur noch Voscherau schnell helfen, er muß ein Machtwort sprechen. Dann steht das Ding noch Weihnachten.“ Jürgen Oetting