Wer kann Saddam Angst einjagen?

Das Mandat für die alliierte Schutzmacht im Nordirak läuft am Jahresende aus/ Das türkische Parlament debattiert diese Woche über die umstrittene Verlängerung  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Noch in diesem Monat muß die Türkei der künftigen Stationierung der alliierten Schutzmacht für die irakischen Kurden, Operation Poised Hammer (Schwebender Hammer), zustimmen. Am 30.Dezember läuft die Genehmigungsfrist aus. Der „Nationale Sicherheitsrat“, dem Spitzenpolitiker und die ranghöchsten Generäle angehören, hat bereits am Montag die Empfehlung ausgesprochen, Poised Hammer zu verlängern.

Eine politische Mission

Letztendlich liegt die Entscheidung in den Händen des türkischen Parlamentes, das Ende der Woche einen Beschluß fassen wird. Im Rahmen von Poised Hammer sind nur Flugzeuge stationiert. Die Operation erfüllt eine politische Mission: Die Alliierten des Golfkrieges machen durch ihre Präsenz klar, daß ein erneuter Angriff des irakischen Diktators Saddam Hussein auf die irakischen Kurden militärisch erwidert werden wird. Vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus starten Aufklärungsflugzeuge, die das Flugverbot für irakische Flugzeuge nördlich des 36. Breitengrades kontrollieren.

Die stete Drohung einer Intervention durch die Alliierten ist letztendlich die Grundlage für die politische Selbstverwaltung der Kurden im Nordirak, die ansonsten der militärischen Übermacht der irakischen Armee schutzlos ausgeliefert wären. Doch in der Türkei werden die Stimmen, die einen Abzug der Alliierten fordern, immer lauter. Mißtrauisch beäugen türkische Politiker, die unnachgiebig die kurdischen Autonomiebestrebungen in der Türkei unterdrücken, die ausländische Militärpräsenz, die irakische Kurden vor Saddam Hussein schützen soll. Für eine Reihe türkischer Politiker ist Poised Hammer ein Schreckgespenst: ein Instrument des „Imperialismus“, das „Separatisten“ unterstützt und Geburtshilfe für einen unabhängigen kurdischen Staat leistet. In einer Sitzung des türkischen Parlamentes über die Entsendung türkischer Truppen nach Somalia kam es zum Eklat, als der Abgeordnete der islamisch-fundamentalistischen „Wohlfahrtspartei“, Oguzhan Asiltürk, die Präsenz der Alliierten in der Türkei ansprach: „Die Türkei ist ein besetztes Land“, rief der Abgeordnete unter dem Beifall seiner Parteigenossen. Die „Partei der Demokratischen Linken“ von Ex-Premier Ecevit und die Wohlfahrtspartei haben angekündigt, daß sie gegen eine Verlängerung von Poised Hammer stimmen werden. Aber auch Abgeordnete der Koalitionsparteien sprechen sich dagegen aus.

Die Koalitionsregierung Süleyman Demirel ist unter Druck geraten. Eine nationalistische Kampagne gegen die alliierte Macht ist voll im Gange. Auf der anderen Seite kann die Türkei es sich nicht leisten, entgegen dem Willen der USA den Stationierungsvertrag nicht zu verlängern. Ende vergangener Woche trafen hochrangige Politbürokraten der Außenministerien der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Ankara ein, um der Forderung nach einer Verlängerung von Poised Hammer Nachdruck zu verleihen. In der gemeinsamen Presseerklärung fanden eine Reihe von Formulierungen Platz, die türkische Bedenken ausräumen sollen. Der Türkei wird das „legitime Recht auf Verteidigung“ gegen die „Gewalt seitens der PKK“ zugestanden. „Terroristen“ dürften nicht Unterschlupf im Nordirak finden. Außerdem schließt das Festhalten an der „territorialen Integrität“ des Irak eindeutig die Gründung eines kurdischen Staates aus.

In den Kreisen der türkischen Regierung wird die alliierte Schutzmacht für die irakischen Kurden als ein notwendiges Übel angesehen. Denn solange Saddam Hussein politischer Herr über Bagdad ist, ist ein Abschreckungsinstrument vonnöten, um zu verhindern, daß erneut Hunderttausende Kurden aus dem Irak in die Türkei fliehen, wie schon einmal nach dem Ende des Golfkrieges.

Verlockendes aus Bagdad

Das irakische Regime versucht immer wieder, die Türken davon zu überzeugen, daß letztendlich die alliierte Macht türkische Interessen bedroht. Der irakische Botschafter in Ankara verweist auf die gemeinsame Interessenlage der Türkei, des Irak und des Iran: „Ein unabhängiger kurdischer Staat ist eine Gefahr für uns alle.“ Im Oktober besuchte eine irakische Parlamentarierdelegation Ankara. Der irakische Parlamentspräsident Mehdi Salih machte den Türken verlockende Angebote. „Wenn die ausländischen Mächte aus der Region abgezogen sind, wird der Irak die Kontrolle übernehmen. Wenn die irakische Armee das Gebiet kontrolliert, kann sich die PKK dort nicht aufhalten.“ Bei vielen türkischen Abgeordneten verfing das Argument eines starken Irak, der mit der Türkei zusammenarbeitet, um der kurdischen Guerilla PKK den Garaus zu machen.

Doch Poised Hammer führt nicht nur zu Brüchen im außenpolitischen Konsens der Parteien. Nicht nur rechte, nationalistische Politiker in der „Partei des rechten Weges“ und Sozialdemokraten, die „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei“ mutmaßen, wollen ein Ende der alliierten Militärpräsenz. Auch für die kurdische Guerilla PKK ist Poised Hammer ein Greuel. Die Stellungnahme der Europavertretung der PKK ist eindeutig: „Poised Hammer ist die Militärintervention des Imperialismus, um das Autoritätsvakuum in Südkurdistan zu füllen. Diese Macht, die sich damit maskiert, Kurden zu schützen, und sich in unser Land eingenistet hat, ist auf die Kollaboration unter Kontrolle des Imperialismus und Kolonialismus aus und will unseren Unabhängigkeits- und Freiheitskampf ersticken.“

Doch trotz der erregten politischen Debatte in der Türkei scheint festzustehen, daß Poised Hammer verlängert wird. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal unterstützt die Regierung, die eine Verlängerung des Vertrages wünscht. „Ich kann Saddam Hussein nicht angst machen. Aber die können es“, gestand er in einer Rede vor Unternehmern in Ankara. Die Bedenken wischte Özal vom Tisch: „Da gibt es Gerüchte, daß dort ein kurdischer Staat gegründet werde. Solange die Türkei es nicht erlaubt, kann dort nie und nimmer ein kurdischer Staat entstehen. Poised Hammer ist nicht zum Schaden der Türkei, sondern von Vorteil. Sonst wird Unheil über uns einbrechen.“