Gestrandet im Niemandsland

■ Deportierte Palästinenser im Libanon versuchten wiederholt vergeblich, in das israelisch besetzte Gebiet zurückzukehren

Mardsch al Sohur (taz) – Es ist früher Morgen. Die ersten Sonnenstrahlen haben zuwenig Kraft, um nach den nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt ein wenig Wärme zu bringen. Eine Gruppe von Männern sitzen auf dem nackten Boden und frühstücken, einige lesen im Koran, ein Stück abseits treiben junge Männer Sport. Es ist der fünfte Morgen, seit Israel eine Gruppe von 415 Palästinensern in den Libanon deportiert hatte. Seitdem harren sie in einem Zeltlager jenseits des von Israel besetzten Streifens im Südlibanon aus, da die Regierung in Beirut erstmals die Aufnahme der Deportierten verweigert hatte.

In der Nacht zum Dienstag hatte die Gruppe ihren dritten Versuch unternommen, in die sogenannte israelische „Sicherheitszone“ zurückzukehren. Zwei Palästinenser wurden verletzt, als Angehörige der israelischen Hilfsmiliz SLA das Feuer eröffneten. Die Gruppe mußte in das „Lager der palästinensischen Vertrieben“ – so die Bezeichnung des Roten Kreuzes und der internationalen Presse – zurückkehren. Die Vertriebenen selber haben ihrem Lager einen anderen, hoffnungsvolleren Namen gegeben: „Jerusalem – das Lager der Rückkehr“.

Am Montag morgen, als die meisten der Vertriebenen noch beim Frühstück saßen, war ein Trupp von 25 libanesischen Soldaten aufgetaucht und befahl den Palästinensern, das Lager zu räumen. Die 21 Mitglieder der Lagerführung geben Anweisungen: „Nur das Wichtigste mitnehmen, nichts Schweres, keine Matratzen...“ Schon am ersten Tag nach der Deportation hatte die Gruppe die madschlis al shura, die Ratsversammlung, gewählt. Sie wird von Aziz Rantisi geführt, dem Leiter der Islamischen Universität im Gaza-Streifen. Es heißt, er sei der „unerklärte Führer“ der radikalen islamistischen Hamas-Bewegung, die sich zur Entführung und Ermordung eines israelischen Grenzsoldaten bekannt hatte.

Während sich die Palästinenser an der Straße sammeln, berichtet ein libanesischer Offizier, der namentlich nicht genannt werden möchte, daß der Ort, an dem heute das Zeltlager steht, bis zum Tag der Deportation noch israelisch besetzt war. „Die israelischen Truppen haben sich ein Paar Kilometer zurückgezogen, um eine neue Lage zu schaffen. Danach konnte die israelische Regierung erklären, daß das Gebiet libanesischer Kontrolle untersteht.“

Die Palästinenser setzten sich in Marsch, der erste von bisher dreien zum ersten israelischen Kontrollpunkt, der knapp drei Kilometer entfernt ist. Viermal auf dieser relativ kurzen Strecke wird eine Pause eingelegt. „Über 50 von uns sind über 65 Jahre alt“, erklärt ein junger Mann. „Sie müssen sich ein bißchen ausruhen.“ Schließlich, etwa 400 Meter vor dem Kontrollpunkt, verstärkt sich die Spannung, einige lesen Koran-Suren vor, andere rufen: „Gott ist groß, Gott wird uns schützen“. Dann, während einer Gebetspause, fallen die Schüsse, abgefeuert von der SLA- Miliz. Ein junger Mann erleidet eine schwere Kopfverletzung. Ein libanesischer Journalist fährt ihn mit seinem Auto in ein Krankenhaus. An dem Kontrollposten hat die israelische Armee unterdessen ihre Stellung – Soldaten, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge – verstärkt. Beide Seiten harren aus, bis die Lagerführung am Nachmittag entscheidet, einen zweiten Versuch zu starten, in das israelisch besetzte Gebiet zu gelangen. Die Reaktion ist härter als beim ersten Mal: die von Israel finanzierten, ausgebildeten und bewaffneten Milizionäre eröffnen erneut das Feuer, wobei sie Maschinengewehre, Artillerie und Panzerwagen einsetzen. Ein junger Mann wird an der Hand verletzt. Später, in der Nacht, folgt der vorerst letzte Durchbruchsversuch. „Unsere Geduld hat eine Grenze. Wenn wir sterben müssen, dann sterben wir lieber in Würde“, sagt Aziz Rantisi. Khalil Abied

Solidaritätsstreik

Jerusalem (AFP) – Rund 750.000 arabische Israeli sind am Dienstag aus Protest gegen die Ausweisung von 415 Palästinensern aus den von Israel besetzten Gebieten in einen Generalstreik getreten. Durch den eintägigen Streik werden vor allem Ämter, das Erziehungs- und das Transportwesen getroffen.