Energiesteuern für Bangladesch

■ Interview mit Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Leiter des Wuppertaler Instituts für Klima, Energie, Verkehr / Nach Rio-Konferenz vor allem im Süden ein Aufbruch

taz: Herr von Weizsäcker, vor einem halben Jahr haben sich Politiker und Ökologen aus aller Welt zur Konferenz von Rio getroffen. Hat sich was verändert?

Ernst-Ulrich von Weizsäcker: Vor der Rio-Konferenz hieß Umwelt im deutschen Sprachgebrauch Schadstoffbekämpfung. Durch den Prozeß von Rio de Janeiro ist uns allen ins Bewußtsein gerückt, daß lokale Schadstoffbekämpfung nicht mehr, aber auch nicht weniger ist als lokale Gesundheitspolitik und daß die Umweltpolitik globales Denken erfordert. In Rio sind drei wichtige Schritte auch völkerrechtlich getan worden: 1.die Rahmenkonvention zum Schutz des Klimas, 2.die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt, 3.die einstimmig verabschiedete Agenda 21 und der Beschluß zur Gründung des Committee for Sustainable Development, eines UN-Ausschusses für ökologisch nachhaltige Entwicklung.

Sie haben angesichts der Blockadepolitik der USA in Rio gesagt, 30.000 Menschen hätten dem Begräbnis des amerikanischen Traums beigewohnt. Ist dieser Traum mit dem Wahlsieg Clintons wiederauferstanden?

Als ich das gesagt habe, lag Clinton hoffnungslos abgeschlagen auf dem dritten Platz in den Meinungsumfragen hinter Bush und Ross Perot. Ich habe damals gesagt, die Isolierung von Bush ist im Lichte der Geschichte vielleicht sogar ein Glücksfall, weil sie die Kräfte im amerikanischen Volk mobilisieren könnte, die mit dieser Isolierung nicht zufrieden sind und die sich darauf besinnen, daß Amerika etwas Besseres zustande bringt als einen Präsidenten Bush.

Wird die neue US-Regierung der Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt beitreten?

Die USA werden über kurz oder lang dieser Konvention beitreten. Ich habe aber auch in Rio gesagt, daß es für den Schutz der biologischen Vielfalt viel wichtiger ist, daß Brasilien beitritt, weil dort zehnmal soviel biologische Vielfalt vorhanden ist wie in den USA. Die Amerikaner werden sich nicht mehr der Erkenntnis verschließen, daß man zum Schutz des Klimas auch höhere Energiepreise braucht. Das heißt, daß die EG-Initiative für die Einführung einer kombinierten Energie- und CO2- Steuer, die man an die Bedingung geknüpft hat, daß die Amerikaner mitmachen, vermutlich bald positiv beantwortet werden wird.

Das Bundeskabinett beschloß im Herbst 1990, den in Deutschland emittierten CO2-Anteil bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu senken. Wie beurteilen Sie die Chancen, dieses Ziel zu erreichen?

Die Prognos ist sehr skeptisch. Ich bin eine kleine Spur optimistischer. Im Bundeswirtschaftsministerium scheint man sich aufgrund der neuen Prognos-Studie über externe Kosten davon überzeugt zu haben, daß a: Energievergeudung enorme Kosten impliziert, daß b: die Vermeidung dieser Kosten volkswirtschaftlich von Nutzen ist und daß deswegen c: eine Erhöhung der Energiepreise der Volkswirtschaft gar nicht schadet. Wenn sich dieses Wissen des Ministeriums in Politik verwandeln läßt, dann besteht die Chance, daß aus einer Kombination von laufender Umstrukturierung plus Verteuerung der Energien plus Abbau veralteter Industriestrukturen, beschleunigt durch die Rezession, das Ziel auf einmal doch noch erreicht wird.

Die Rezession als Chance für den Umweltschutz, mir scheint eher, Umwelt ist bei der herrschenden ökonomischen und sozialen Krise wieder out, ganz besonders bei der Wirtschaft?

Ich habe meinen Umweltschützerfreunden vor vier Jahren, als das Thema Umwelt Hochkonjunktur hatte, gesagt, es gebe überhaupt keine Garantie, daß diese Hochkonjunktur bleibt. Seitdem habe ich systematisch daran gearbeitet, den Sinngehalt des Themas Umwelt bei uns so zu modifizieren, daß die Alternative „Wohlstand oder Umwelt“ weitgehend verschwindet. Die von mir propagierte Umweltpolitik eignet sich für Zeiten wirtschaftlicher Schwäche genauso gut, wenn nicht sogar noch besser als für Zeiten von Hochkonjunktur. Die herkömmliche Schadstoffkontrolle hingegen, die der Wirtschaft immer zusätzliche Kosten aufbürdet, läßt sich tatsächlich nur in Zeiten guter Konjunktur politisch durchsetzen.

Sie fordern eine ökologische Steuerreform als den entscheidenden Hebel für ökologischen Strukturwandel in Industrieländern. Wie soll diese Reform aussehen?

Ich schlage vor, daß Fossil- und Atomenergie ebenso wie alle ökologisch relevanten Rohstoffe an der Endverbraucherseite jährlich, über mehrere Jahrzehnte festgelegt, um sechs Prozent verteuert werden. Gleichzeitig werden andere Steuern so gesenkt, daß die Gesamtsteuerbelastung nicht steigt. Das würde inflationsbereinigt in 14 Jahren zu einer Verdoppelung und in 28 Jahren zu einer Vervierfachung usw. der entsprechenden Preise führen. Der Faktor Arbeit würde aus Arbeitgebersicht effektiv billiger, während der Faktor Naturverbrauch teurer würde.

Das ist aber doch für die Dritte Welt kein plausibler Weg?

Ich schlage diese Steuerreform vor, damit sich die Energieproduktivität deutlich erhöht. Eine solche Verbesserung der Produktivität ist für ein Land wie Ägypten oder Bangladesch volkswirtschaftlich viel ertragreicher als für die Bundesrepublik Deutschland. Hier kann man sich notfalls die Energievergeudung wirtschaftlich noch leisten. Deswegen bin ich guten Gewissens der Meinung, daß für die Volkswirtschaft und den verteilbaren Wohlstand in armen Ländern eine Verteuerung der kommerziellen Energie nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar ratsam ist.

Aus dem Rio-Prozeß wird nichts, wenn die Öffentlichkeit nicht Druck macht. Ist eine Neuauflage der Ökologiebewegung denkbar, möglicherweise international?

Ein Earth-Council von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist gerade gegründet worden. Es ist zu hoffen, daß das NGO-Verbindungs-Büro in Nairobi (weltweiter Zusammenschluß von Nichtregierungsorganisationen) jetzt eine solche Aufwertung bekommen hat, daß es als internationale Stimme hörbarer wird. An vielen Stellen der Welt, gegenwärtig am intensivsten in Asien, breitet sich die Erkenntnis aus, daß Umweltzerstörung nicht nur ein Propagandamärchen des Nordens ist, sondern tatsächlich eine massive Schädigung der Lebensgrundlagen für die Bevölkerung. Selbst in Korea und Taiwan, in Chile und Mexiko spielt das Thema Umwelt heute eine viel stärkere Rolle als noch vor fünf Jahren. Deswegen ist anzunehmen, daß die Jugendfrische und Kraft der internationalen Umweltbewegung eher aus diesen Ländern kommen wird als aus alten Industrieländern. Bei uns sieht es ja gegenwärtig etwas traurig aus. Gespräch: Lothar Langer