Mit dem Fallschirm zum Asylrecht

Wenn die Grenzen für Flüchtlinge dicht sind, ist nur noch die Einreise auf dem Luftweg möglich/ Auf einem Flugplatz bei Bremen wird der neue Artikel 16a schon mal ausprobiert  ■ Aus Karlshöfen Burkhard Straßmann

Dienstag, 11.30 Uhr, Karlshöfen bei Bremen: Das Kaff am Rand des Teufelsmoors in einer Gegend, wo umgedrehte Besen vor der Tür noch als Abwehrzauber gegen Zigeuner gelten, erlebt einen nie dagewesenen Medienrummel. Auf dem kleinen Karlshöfener Flugplatz werden Asylbewerber erwartet. Sie sollen mit dem Fallschirm hier einschweben und somit eines der letzten Schlupflöcher benutzen, das ihnen demnächst das neue Asylrecht übrigläßt. Es ist kalt und neblig.

Nicht nur Funk und Fernsehen haben Wind von der Sache bekommen: Die „Außenstelle Nordheide“ des Bundesamtes in Zirndorf hat auf der grünen Wiese ein provisorisches Büro eingerichtet, mit Stempeln, Adventskranz und Thermoskanne. Und da brechen sie schon durchs Unterholz: drei unterkühlte Männer mit Fallschirmen unter dem Arm, in der Hand schwenken sie einen Lappen mit ihrem Begehr: „Asyl“. „Wir haben Kerzen gesehen, Deutsche sind wieder gut zu Ausländern“, stottert ein Bärtiger. Da haben sie aber die Adventskerzen gründlich mißverstanden: Kaltschnäuzig, unter den Augen der Öffentlichkeit, jagen die Zirndorfer Beamten die Fallschirmasylanten wieder ins Moor zurück.

Die Landung der Schirmasylanten ist ein aktualisiertes Weihnachtsmärchen, in Szene gesetzt von Mitgliedern des Lüneburger Stadttheaters. Es handelt sich um den zweiten Streich eines neu und spontan entstandenen Bündnisses, das den provisorischen Namen „Büro für notwendige Einmischung“ trägt. Bundesgrüne, Jungsozialisten in der SPD, Robin Wood, die „Gesellschaft für bedrohte Völker“, „Pro Asyl“ und Kulturschaffende aus dem Hamburger Raum haben alle Berührungsängste beiseite getan und machen gemeinsame Sache: Hände weg vom Artikel 16!

„Was kann die Kultur machen, wenn die Politik versagt?“ fragt Frank Eyssen vom zwei Wochen alten Bündnis auf der Pressekonferenz.

Zum Beispiel Theaterspielen, wenn genug zuschauen. Oder, das war ihr erster Streich, eine Rüstungsfabrik besetzen, die Splittergranaten für die Türkei herstellt. Motto: „Deutsche Granaten finden ihr Ziel – für die Opfer kein Asyl?“ Unterstützer: Rockmusiker gegen Rechts. Der dritte Streich wird am 30. Januar kommen, dem Jahrestag der „Machtergreifung“ durch die Nazis. Mit einer Woche dezentraler und phantasievoller Aktionen zugunsten des Erinnerns.

Für Jadranka Thiel vom Juso- Bundesvorstand ist indes der Zug noch nicht abgefahren: Sie setzt weiter auf den einzelnen Abgeordneten: „Druck machen, Stimmung umdrehen, Bündnisse schließen“. Es sei eine Legende, daß die breite Parteibasis hinter SPD-Vorstand und -Parteirat stehe. „Die SPD spielt mit Menschenleben, um an Wählerstimmen zu kommen.“

Realistischer schätzen Renate Backhaus (Bundesvorstand Die Grünen) und Herbert Leuninger von der Vereinigung „Pro Asyl“ die Lage ein – sie planen bereits den Gang nach Karlsruhe mittels eines abgelehnten Asylbewerbers. Tenor: Ein Grundrecht, das nicht erlangt werden kann, ist verfassungswidrig. Nicht nur Leuninger sieht dabei auch Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) berührt.

Robin Wood leistet logistische Hilfe und spannt den Bogen über Ausbeutung der Dritten Welt, Umweltdreck und Verelendung zur Asylfrage. Am eindringlichsten, von großer persönlicher Betroffenheit bewegt, erläutert Tilman Zülch, warum die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ im Bündnis mittut.

Er engagiert sich gerade besonders in Sachen Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und hat die in KZs gefolterten und ermordeten Opfer vor Augen. Wer entrinnt, hat schon bei der jetzigen Gesetzeslage allergrößte Schwierigkeiten, sich in den Westen zu retten. Bei einer Asylrechtsänderung seien die Bürgerkriegsopfer vollends auf willkürliche Gnadenakte angewiesen.

Horst Sarnoch, pensionierter Zahnarzt und Flugzeugbesitzer, sitzt im Tower des kleinen Zivilflughafens. „Im Krieg sind wir ja noch aus 80 Meter abgesprungen“, sagt er und blickt nachdenklich in den Nebel. 800 Meter Sicht am Boden, das ist „null Sicht beim Fliegen“.

Die tollsten Bilder, die den Medien versprochen waren, müssen leider wegen Nebels ausfallen. „Vielleicht lassen wir Romeo India mal kurz an.“ Es hätten echte Menschen aus den Wolken fallen sollen, alles um der guten Sache willen. Aber die Profis aus den TV- Anstalten werden's schon richten– sie sind lichterkettengeübt.