FENSTERLEUCHTEN

Was Wunder, daß der Stadtmensch, der vom Jahreslauf nicht viel mehr als Wetterumschläge und Regenperioden bemerkt, seiner Sehnsucht nach dem Zusammenspiel mit kosmischen Kräften gerade in der eher dunklen Jahreszeit Ausdruck verleihen möchte. Überall im Weltraum ist schließlich elektrische Energie wirksam, warum also nicht auch im Schlafzimmerfenster?

„Advent, Advent, die Stube brennt mit Teppich und Gardinen. Der Pappi brennt, die Mammi brennt, und ich freß Apfelsinen“, wurde einst im antiautoritären Kinderladen geschmettert, doch inzwischen hat sich der Brandschutz dank jahrelanger, hingebungsvoller Aufklärung durch die „Aktion das sichere Haus“ in den Wohnzimmern durchgesetzt.

Die Fenstergestaltung mit elektrischen Weihnachtsbaumkerzen hat sich von einem Hilfsmittel fürs Sentiment zu einer eigenständigen Form europäischer Volkskunst emanzipiert. Abermillionen von ihnen lassen des nachts die Wohnungsfenster leuchten. Da spannt sich in weihnachtlicher Eintracht ein Sternenhimmel aus Glühdrähten in etlichen winzigen gläsernen Tropfen über mythische Gestalten wie Gartenzwerge und Nußknacker in ihrer natürlichen Umgebung von Gummibäumen. Wohnungsfenster wandeln sich zu Schaufenstern, die

1den Familienfrieden in die ganze Nachbarschaft hinausleuchten, und erinnern vertrackt an jene alte Losung, die besagte, es gelte, Privates öffentlich zu machen, wenngleich damit einst weniger Friede, Freude, Glühlämpchen gemeint waren. Doch das Bedürfnis, eine real nicht existierende Harmonie zumindest symbolisch in die kalte

1Welt hinaus schimmern lassen, ist in den letzten Jahren offensichtlich immer unbezwingbarer geworden.

Mal ziehen Lichterketten hübsch ordentlich die Konturen der Fen- ster nach, mal trachten Klapptannenbäume -„schwer entflammbar“- mit ihrer bonbonbunten Lichterpracht nach einer sanften Vermählung zwischen Himmel und Erde, mal stehen leuchtende kleine Tropfenformen in grünen Röhrchen auf einer wollenen Wurst, die die kalte Zugluft aus den Ritzen saugt, stramm in Reih und Glied zwischen Fenster und Gardine.

Ein anderes Himmelszeichen ist seit altersher ein seltener Gast in Sichtweite der Erde. Nach seinem Erscheinen 1985/86 ist mit der Wiederkehr des Halleyschen Kometen in den nächsten sieben Jahrzehnten nicht zu rechnen. Macht aber nichts, denn auch er ist in kindersicherer und wohnzimmergerechter Ausgabe zu Preisen zwischen 20 und 50 Mark allüberall erhältlich und leuchtet dem Herrn der Sternenkräfte, egal, aus welcher Richtung der auch kommen mag oder wen man nun dafür halten mag, den Weg dorthin, wo es nötig tut. Doch da, was flackert da im Bauwagen, wo man doch unter sich keinen Sklaven und über sich keinen Herrn sehen will? Unsichtbare Gestalten hantieren mit einer Glühlämpchenkette. Friede den Weihnachtsgänsen. Julia Kossmann