Doof oder Nichtdoof, das ist hier die Frage

Bei Vollkornkeksen steht die taz-Sportredaktion dem sechsjährigen Niels-Arne Rede und Antwort zum  ■ Sportjahr 1992

Seltener Besuch fand sich gestern bei mir ein. Gregor Alexander überließ seinen sechsjährigen Sohn Niels-Arne meiner Obhut. Nicht ganz freiwillig wohlgemerkt, aber ohne Alternative. Der Kinderladen war wegen der Weihnachtsferien bereits geschlossen, Ursula, die sonst in solchen Notlagen einspringt, bei ihren Eltern auf dem Lande. Gregor-Alexander, ein alleinerziehender Diplom-Psychologe mit makrobiotischem Einschlag, war vollends mit der jährlichen großen Feudelei vor dem Feste beschäftigt, denn seine Eltern haben sich für den ersten Weihnachtstag angekündigt und der Eklat, den im Vorjahr die Wasserflecken auf der Spüle verursachten, ist Gregor-Alexander noch in unangenehmer Erinnerung.

Der Grund dafür, warum Niels- Arne so selten bei mir ist, ist meine Profession: Ich bin Sportjournalist. Eine Tätigkeit, die für einen dermaßen feinfühligen Menschen wie Gregor-Alexander in seiner Werteskala etwa kurz vor Metzger aber noch weit hinter anderen handwerklichen Berufen liegt.

Sport, das ritualisierte Kräftemessen, der durchaus kommerzielle Hintergrund, das lehnt er ab. Firlefanz nennt er es, eindeutig gesellschaftlich überbewertet, mit atavistischen Tugenden wie Kampfgeist und Durchstehvermögen besetzt, und diesem Einfluß möchte er seinen Sohn nicht so gern ausgesetzt wissen. Aber die Notlage machte es unumgänglich.

Also war Niels-Arne bei mir und das Unglück nahm seinen Lauf. Obwohl ich keinesfalls beabsichtigte, das pädagogische Konzept von Gregor-Alexander auf nur irgendeine erdenkliche Art zu unterwandern, sogar die Süßigkeiten versteckte und mit Honig gesüßte Vollkornkekse besorgte, war die erste Frage, die mir Niels–Arne stellte, was denn das für ein komischer Aufkleber sei, der auf meinem Kleiderschrank backst. Ich lese ihm den Aufkleber vor: „St.Pauli-Fans Gegen Rechts!“ Das findet er gut. Auch sein Vater ist gegen Rechts und der Kinderladen sowieso, aber warum ich einen solchen Aufkleber auf dem Schrank habe, möchte er wissen. „Ja, weil ich häufig zum FC St. Pauli muß und die Fans dort etwas besonderes sind, damit ich das nicht vergesse“, antworte ich. „Wieso ist denn die Fußballmannschaft des Vereins nichts besonderes“, fragt Niels-Arne dann voller kindlicher Neugier. Diese Frage bringt mich zum sinnieren. „Früher einmal, vieleicht auch noch am Anfang des ausklingenden Jahres, da war die Mannschaft etwas besonderes, hatte sogar Chancen wieder in die 1. Bundesliga aufzusteigen, schoß Tore und kämpfte (ich benutze tatsächlich dieses mit Aggressionen besetzte Wort) aufopferungsvoll für die Fans auf den Rängen. Aber heute herrscht Tristesse, die Spiele gehen verloren, die Fans sind zwar immer noch gegen Rechts und kommen in Scharen, sind aber merklich ruhiger geworden.“ Das sei schade, findet Niels-Arne und spricht mich auf den anderen Hamburger Profifußballverein an: „Was ist mit dem Hamburger SV, sind die auch gegen Rechts oder sind die doof?“

Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Zwar spielt der HSV zur Zeit teilweise hervorragenden Fußball unter seinem neuen Trainer Benno Möhlmann, im Gegensatz zur Regentschaft seiner beiden Vorgänger Gerd-Volker Schock und Egon Coordes. Aber so richtig gegen Rechts sind sie nicht. „Die Mannschaft ist nicht doof, der Trainer auch nicht,“ antworte ich wahrheitsgemäß, erinnere mich allerdings nicht daran, daß vom HSV- Präsidium oder Management in Eigeninitiative etwas gegen die rechtsradikal motivierten Umtriebe der Volkspark-Hooligans getan wurde. Deshalb als Antwort für Niels-Arne: „Das Präsidium ist mit anderen Dingen beschäftigt, als doof zu sein oder nicht, die interessieren sich nicht für Fußball oder rechte Ausschreitungen der HSV- Ultras. Die machen eben etwas anderes.“ Was, das wollte Niels-Arne gar nicht mehr wissen.

Für ihn, den Sechsjährigen, dessen einzige sportliche Aktivität die Turngruppe im autonomen Kinderladen ist, ist es schon schwer begreiflich, wie jemand anderen Leuten beim Turnen und Toben zusehen kann.

Obschon: Als sein Vater bei einem Selbsterfahrungscamp in der Toskana Volleyball spielte, da hat er gerne zugesehen. Richtig lustig fand er es, wie der Ball über das Netz flog und Gregor-Alexander die Brille von der Nase holte. Deshalb will er von mir wissen, ob ich mir auch Volleyballspiele angucke. „Ja“, antworte ich ihm, „aber nur ganz selten. Etwa das Pokalfinale. Da gewann der 1. VC Hamburg gegen Berlin und wurde deutscher Pokalsieger, obwohl der Verein erst kurz zuvor gegründet wurde.“

Die Vollkornkekse sind vertilgt. Das einzige was ich noch an gesunder Kost im Hause habe, sind Milchschnitten. Die kennt Niels- Arne nur aus dem Werbefernsehen von so einem Typen, der andauernd „super“ sagt und einen Tennisschläger in der Hand hält. Ob ich den auch schon mal gesehen habe, will er wissen. „Carl-Uwe Steeb habe ich im vergangenen Jahr auch in Hamburg gesehen, bei einem Tennistunier am Rothenbaum mit Boris Becker, Michael Stich und eine Woche zuvor Steffi Graf und Gabriela Sabatini“, gestehe ich ein und wundere mich, wo denn der Sohn von Gregor-Alexander mit Werbefernsehen konfrontiert wurde, erinnere mich aber dann, daß mir Gregor-Alexander von Schwierigkeiten mit seinen Eltern diesbezüglich berichtet hat.

Da hat er auch die Olympischen Spiele von Barcelona gesehen. Gregor-Alexander war krank und hatte nicht erwartet, daß ausgerechnet seine Eltern, die Erziehungsleitlinien für seinen Sproß dermaßen unterwandern. Wie viele Medaillen Hamburg denn gewonnen hätte, will er von mir wissen. „Nur eine Medaille für einen richtigen Hamburger (Gold für Büdi Blunck im Hockey), eine für einen Zugereisten (Michael Steinbach im Rudern) und dreimal olympisches Edelmetall für Elmshorner (Feine Dame und Herbert Blöcker im Reiten und Michael Stich im Tennis)“, bilanziere ich den Erfolg des Hamburger Olympiastützpunktes. „Das ist aber ganz schön wenig“, findet Niels- Arne und versteht nicht, warum ein solches Kaff wie Elmshorn, in Medaillen bemessen, besser dasteht, als der Stadtstaat. „Vielleicht“, fange ich an zu stottern, „vielleicht, weil man nicht alles für Geld kaufen kann. Erst recht keine sportlichen Erfolge.“

In diesem Augenblick kommt Gregor-Alexander rein, mißmutig über das Gesprächsthema, glücklich über die Conclusio.

Und: Sein Hausputz ist getan, das Fest der Liebe kann beginnen.

KA(i rehlän)DER