Milder Winter, täuschende Erinnerungen

■ Ein Kaltlufttropfen macht noch keine weiße Weihnachten / Den Meteorologen von heute wundert gar nichts

/ Den Meteorologen von heute wundert gar nichts

„Wenn schon Weihnachten, dann lieber weiß“, rang sich ein Kollege auf die Frage ab, ob er denn von „white christmas“ träume. Der Mehrzahl der Befragten im Hause taz-hamburg ist es allerdings ziemlich schnurzegal, ob es an Heiligabend schneit oder regnet.

Nur eine kleine romantisierende Fraktion wünscht sich nichts sehn-

licher als eine richtige Schneekatastrophe, die den Autoverkehr total zum Erliegen bringt und Skilanglauf auf den Hauptverkehrsstraßen möglich macht. Das bringt indes diejenigen auf, die die Heilige

Nacht in ihrem südlicher gelegenen

1Heimatort verbringen wollen oder müssen und noch kilometerweise Autobahn vor sich haben. Und auch die Bundesbahn hat ja bei frostigen Temperaturen aller Erfahrung nach große Probleme.

Die Norddeutschen haben sowieso schlechte Chancen auf verschneite Feiertage. Der Golfstrom liegt wie eine Barriere vor kalten Luftströmen. Während es auf demselben Breitengrad in Toronto klirrend kalt ist um diese Jahreszeit, gibt es bei uns nur ausnahmsweise richtig eisige Winter. Davor bewahrt die Friesen, Holsteiner und Hanseaten auch die Nordsee. Jeder Wind, der übers Meer streicht, und das ist die Richtung, aus der er meistens weht, wird zur eher milden Luftmasse aufgewärmt. „Kalte Winter kommen nicht von See“, erklärt Horst Clausen vom Hamburger Seewetteramt.

Gestern morgen durften die Anhänger von weißen Weihnachten kurzfristig jubeln. Es hatte tatsächlich drei Schneeflocken geregnet, und zumindest auf einigen Dächern lag eine dünne weiße Decke. Hoffnungsschimmer? Eher nicht. Es war nur ein kleiner „Kaltlufttropfen“ in der Atmosphäre, der genauso schnell vorbeizieht, wie er gekommen ist. Die Aussichten für die nächsten Tage sind eher trübe. Nach den Prognosen der Meteorologen ist es unwahrscheinlich, daß es noch einmal schneit. Zwar erwarten Norddeutschland kühle Feiertage, die Temperaturen sinken

bis auf minus drei Grad, aber es wird wohl bewölkt und neblig — typische Hamburger Weihnachten

eben.

1Wirklich typisch? „Die letzten Jahre waren zu mild“, gibt Wetterfrosch Clausen zu, aber ein Hinweis auf globale Erwärmung sei daraus auf keinen Fall abzulesen. „Wer denkt, früher hatten wir mehr Schnee, den täuschen seine Erinnerungen“, sagt der Klimakenner. Er habe auch immer geglaubt,

daß es im Winter 1946/47 ganz besonders viel geschneit habe. „Damals mußte ich immer mit der Kanne raus und das Wasser von der Pumpe holen. Der Schnee lag so

hoch, daß ich nicht drüber wegguc-

1ken konnte“, erinnert sich der Meteorologe. Heute relativiert er: „Ich war aber auch damals noch ein ganz kleiner Steppke.“

Im Hamburger Raum gebe es,

rein statistisch gesehen, alle fünf Jahre weiße Weihnachten. Das

könne aber bedeuten, daß zehn

1Jahre lang keine Flocke fällt, und dann versinke die Stadt zwei Dezember hintereinander im Schnee.

Aber Statistik ist nix für Romantiker. Sie hoffen jedes Jahr bis zum letzten Feiertag auf die kalten Flöckchen. Und wer weiß ... Vera Stadie