Kurvig geschliffene Massen

■ Siegfried Salzmanns Buch über den Künstlers Bernhard Heiliger

Jeder von Ihnen wird es beim Spaziergang über den Bremer Rathausplatz schon gesehen haben: das große horizontale Relieffries von Bernhard Heiliger. Über dem gesamten Eingangsbereich ziert es die Front des Bürgerschaftshauses. Als Kunst am Bau gehört dieses vierzehnteilige Werk aus Aluminium und Blattgold zu den bedeutensten dieser Stadt.

Das 1965 entstandene Fries ist nur eines von vielen Werken, welches in einem 356 Seiten starken Buch über den Bildhauer und Zeichner Bernhard Heiliger (Herausgeber: Lothar Romain und Siegfried Salzmann) beschrieben wird. Das Buch ist empfehlenswert für jeden, der sich in das Werk des bedeutenden deutschen Bildhauers und Zeichners einlesen möchte. Es ist reich bebildert, jedes plastische Werk Heiligers ist im Werkverzeichnis fotografisch dokumentiert.

Als Autor und profunder Kenner der Skulptur des 20. Jahrhunderts nähert sich Siegfried Salzmann, Direktor der Bremer Kunsthalle, dem plastischen Werk Heiligers vorwiegend chronologisch. Kenntnisreich und spannend zugleich vermittelt der Autor durch kunsthistorische Exkurse nicht nur tiefe Einblicke in das Werk des Künstlers. An Heiligers Kunst wird die Entwicklung der europäischen Skulptur nach 1945 beispielhaft verdeutlicht. Schließlich durchläuft Heiliger selbst im Verlauf seiner Arbeit den Entwicklungsprozeß der Skulptur vom Figurativen zum Abstrakten

Heiliger, geboren 1905, studierte zunächst in seiner Heimatstadt Stettin und von 1938 bis 1941 in Berlin bei Richard Scheibe. Während seines Parisaufenthaltes im Jahr 1938 begegnete der Künstler Skulpturen von Aristide, Maillol, Constantin Brancusi und Hans Arp. Seine ungebrochene Faszination für diese bedeutenden Werke spiegelt sich in Heiligers erster Schaffensphase wider. Zwischen 1946 und 1960 portraitierte er Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Carl Hofer und Walter Gropius

Mit dem Voranschreiten der Abstraktion von körperhafter Gestalt kam Heiliger in den 50er Jahren zu sogenannten restfigurativen Skulpturen. „Schräge Torsi“ bewegen sich dynamisch im Raum. Kurvig geschliffene Massen zeugen von großer Rhythmik und verleugnen eine dem Menschen angeborene Symetrieachse. Der Künstler selbst hat seine Werke der „informellen Phase“ als „werdende Skulpturen“ bezeichnet, zu denen auch das Bremer Relief zählt. Diese figurativ- organischen Skulpturen mit offenen und geschlossenen Formen kennzeichnen bereits jenes dynamische Gebärden im Raum, das Heiliger bis heute in seiner Arbeit beschäftigt.

Immer mehr drängt es Heiliger zur Entmaterialisierung von plastischen Volumen. Dabei löst er sich vollständig vom traditionellen Skulpturenbegriff: Industriell gefertigte Materialien wie Aluminium, Stäbe, Blech und Polyester verdrängen den klassischen Bronzeguß.

Bis heute balancieren stählernde Stangen und lineare Drähte kontrapunktisch im Raum. Als Energie- und Kräftefelder wollen sie den Raum durchdringen, Schwerkraft überwinden, Natur und Technik thematisieren.

Die poetischen Worte, die Salzmann zur Beschreibung mancher Werke verwendet, verraten seinen Enthusiasmus und seine Fähigkeit, sich auch künstlerisch-verbal der visuellen Kunst Heiligers zu nähern. Salzmann hat ein unlaubliches Wissen über Skulptur des 20. Jahrhunderts. Doch als LeserIn wünscht man sich gelegentlich tiefgreifendere Werkvergleiche zwischen Heiliger und anderen Künstlern, zumal es an vergleichenden Abbildungen fehlt. Allzuoft beläßt es der Autor nur bei Namensnennungen und kurzen Hinweisen. Auch wird Salzmanns eigener Standpunkt an vielen markanten Stellen durch Zitate anderer ersetzt.

Ein kurzer Überblick über den „tiefgreifenden Wandlungsprozeß, den das plastische Denken und Gestalten“ von 1910 bis 1920 durchmachte, erleichtert hingegen das Verständnis für Heiligers Entwicklungsprozeß.

Ulrike Lehmann

Über den Zeichner Heiliger erfährt man in einem kleinen Aufsatz von Lothar Romain.

„Bernhard Heiliger“, herausgegeben von Lothar Romain und Siegfried Salzmann, Propyläen- Verlag, München 1989, 248 Mark