Nachschlag

■ Stasi und Zensur: Deutscher Krach in der Möwe

„Die Möwe“ – ehemals Künstlerclub der FDGB-Gewerkschaft Kunst und seit Juni unter neuer Führung – macht Schlagzeilen – allerdings keine, die dem neuen Stiftungsverein willkommen sein dürften.

Dabei hatte alles in Wohlgefallen begonnen. Mit einem Theater über jüdische Themen. Anton Dick-Boldes und Vera Wegerer („Jakob van Hoddis Theater“) führten im Künstlerclub den von Wegener erarbeiteten Monolog „Ich, Susanne Salomon“ auf. Im Rahmen der jüdischen Kulturtage fand die Premiere statt, das Projekt war vom Senat finanziell gefördert worden. Auch die Möwe hatte ihren Teil zum Gelingen der Theaterarbeit beigetragen: der Gruppe stand über die gesamte Probenzeit die Bühne zur Verfügung, ein Techniker begleitete über Wochen die Produktion. In einem Brief vom 9.Dezember, der der taz vorliegt, bedankt sich Regisseur Dick-Boldes so auch beim „Möwe“- Vorstand ausdrücklich für „gute Zusammenarbeit.“

Damit ist es nun vorbei. Das Ensemble und der Club proben inzwischen die normale deutsche Wiedervereinigungsneurose: „Stasi“ heißt es auf der einen Seite, „Zensur“ auf der anderen. Am 12.Dezember begann die Eskalation – harmlos zunächst. An diesem Tag teilte ein Mitarbeiter des Clubs dem „Jakob van Hoddis Theater“ mit, „aus organisatorischen Gründen“ müßten die für Januar vereinbarten Vorstellungstermine entfallen. Ein weiteres verabredetes Gastspiel müsse auf Drängen der Eingeladenen verschoben werden. Dick-Boldes und seine Schauspielerin aber witterten politische Zensur, gingen noch am selben Abend in die Öffentlichkeit und gaben nach ihrer Vorstellung eine Erklärung vor dem Publikum ab: ein Theaterstück mit jüdischer Thematik dürfe in diesen Tagen nicht so sang- und klanglos abgesetzt werden. In einer erhitzten Debatte an der Bar soll dann auch das stets wirksame Schlüsselwort gefallen sein – Dick-Boldes und Vera Wegerer warfen dem Möwe-Vorstand „Stasi-Tätigkeit“ vor. So jedenfalls berichtete es eine „Möwe-Mitarbeiterin“ umgehend ihren Vorgesetzten.

Nun war niemand mehr zu einem klärenden Gespräch bereit, auch die schon verabredeten Februar- und Märztermine wurden jetzt abgesagt. Dick-Bodes drohte mit einer Hausbesetzung. Da besann sich die Klubleitung auf das bürokratischste aller Mittel: der Gruppe wurde Hausverbot erteilt.

Was nun? An das Theater auf der Bühne denkt offenbar keine Seite mehr so recht, zu sehr üben sich die Beteiligten in der Rolle der politischen Rechthaber. Mit etwas mehr Mut zur Gelassenheit auf beiden Seiten wäre der Grabenkampf vielleicht zu verhindern gewesen. Nachdenken erbeten. Sibylle Burkert/taz