Fröhliche Weihnachten! Von Philippe André

Weihnachten! Mein Gott, dieses Weihnachten! Man kommt einfach nicht mehr durch mit der konsumkritischen Haltung früherer Jahre. Im Gegenteil. Sie kann einem heutzutage gar unversehens zum schweren Charakterfehler entarten. Nie werde ich den letzten Hl. Abend vergessen. Wie üblich hatte ich lange vor dem Fest schon in Familie und näherer Verwandt- und Freundschaft die Parole durchgegeben: „Keine Geschenke diesmal, nur die Kinder!“ – und hatte Beifall dafür erhalten. Der Unterschied zu den Vorjahren war: diesmal wollte ich hart bleiben. Bei meinem Kontostand übrigens kein genialer Einfall, sondern mehr eine klassische Survival-Übung. Es weihnachtete immer mehr. Ich blieb hart. Nur die Kleinen! Zwar entgingen mir nicht gewisse verdächtige Bewegungen im familiären Umfeld. Doch abgemacht war schließlich abgemacht. Brenzlig wurde es erst, als mein Kleiner mich am Abend des 23. fragte, ob ich schon wisse, was seine Mutter mir schenke, oder seine Tante erst, boah ey! Das sei was ganz Feines. Er dürfe aber nichts sagen. Gigantische Wellen der Scham überrollten mich. Ich begann abrupt, wieder Fingernägel zu kauen wie früher. Ich ahnte Grauenvolles. Hatten sich nicht außerdem „zur Bescherung der Kids“ alle scheinheilig bei uns angemeldet? Panik schüttelte mich. Die wollen einen nur beschämen, warten auf einen Dummi, der Prinzipien hat und danach lebt. In dieser Nacht fiel ich erst gegen 6Uhr30 in einen kurzen, ruhelosen Schlaf, aus dem ich naß und etwas desorientiert erwachte. Mein linkes Auge zuckte. Ich wußte, nun beginnt das demütigende Ritual: schnell noch irgendeinen Nice Scheiß für jeden, nur um auch was zu haben. Also hetzte ich durch die frühe Stadt und hätte vor Selbsthaß fast platzen können. Natürlich achtete ich in dieser Situation nicht mehr auf den Geldbeutel. Egal wie teuer. Soll nur was hermachen. Oder wenigstens für ausgefallen gehalten werden können. Die ganze Zeit konnte ich mich dabei des Gefühls nicht erwehren, die Verkäuferinnen durchschauten mich, kennten meinen Typ nur zu genau. Schwang bei der, die ich den Fondue-Scheiß einpacken ließ, nicht auch Verachtung im Blick mit, und Mitleid?

Der Katastrophe entging ich dennoch nicht. Als gegen 20 Uhr alle versammelt waren und die Kinder „Bescheeerung“ riefen, griff auch ich selbstbewußt in meine prallgefüllte Tasche und verteilte freundlich lächelnd die Präsente. Dafür bekam ich mein altes Briefmarkenalbum, das meine Schwester im Keller wiedergefunden und liebevoll in Geschenkpapier geschlagen hatte. Und mein Kleiner hatte was „gebastelt“. Mit sehr viel Hingabe, zweifellos. Ich sah meine Gattin fragend an, sie zog als Antwort zurückfragend die Brauen hoch. Auch die anderen machten keinerlei Anstalten, etwas verteilen zu wollen. Ich war geleimt worden, hatte mich ruiniert und doch nur schadenfrohe Blicke geerntet. Sicher, sie lächelten, aber sie meinten bestimmt: „Reingefallen, Kretin!“ Ich war ganz heiß vor Wut.

Diesmal mach' ich's echt anders. Wenn ich bloß aufhören könnte, meine Fingernägel zu kauen. Weiß der Teufel, seit gestern hat's wieder angefangen.

Fröhliche Weihnachten!